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Konsument:innenforschung: Neue DFG-Projekte gestartet

Prof. Dr. Markus Dertwinkel-Kalt, Professor für Verhaltens- und Digitalökonomie an der Universität Münster, ist Teil der 12-köpfigen DFG-Forschergruppe „Konsument:innenpräferenzen, Konsument:innenfehler und Unternehmensantwort“ und begleitet in diesem Rahmen zwei neue DFG-Projekte: „Unternehmensreaktionen bei ungerichteter Allokation von Aufmerksamkeit“ und „Ausgestaltung finanzieller Produkte, um begrenzte Aufmerksamkeit von Kleinanlegern auszunutzen“. Ziel der Forschergruppe ist es, Ansätze zu entwickeln, um Ausbeutungsstrategien von Unternehmen, wie Kündigungshürden oder versteckte Zusatzkosten, zu verhindern oder zumindest einzuschränken. Wir stellen die beiden Projekte kurz vor:

Unternehmensreaktionen bei ungerichteter Allokation von Aufmerksamkeit

Ist eine ökonomische Entscheidung zu treffen, so ist üblicherweise ein großes Maß an Informationen über die Optionen verfügbar, wohingegen die menschlichen mentalen Kapazitäten all diese Informationen zu verarbeiten, stark limitiert sind. Menschliche Aufmerksamkeit ist zumindest in Teilen nicht aktiv gerichtet, sondern automatisch auf die ins Auge fallenden Aspekte der Entscheidungsumgebung gelenkt. Wenig ist jedoch darüber bekannt, welche Anreize Firmen haben, solche Aufmerksamkeitseffekte auszunutzen. Markus Dertwinkel-Kalt von der Universität Münster und Hans-Theo Normann von der HHU Düsseldorf untersuchen in diesem auf vier Jahre angelegten Projekt nicht-gerichtete Aufmerksamkeitseffekte anhand eines stark wachsenden Marktes, welcher gegenwärtig in die Aufmerksamkeit von Wettbewerbsbehörden weltweit rückt: dem Gaming-Markt. Heutzutage beinhalten viele erfolgreiche Videospiele sogenannte Lootboxen, welche so wie Glücksspiele zufällige Vergütungen bieten, die innerhalb der Spiele verwendet werden können (bezogen auf das „FIFA“ Spiel wäre eine solche Vergütung beispielsweise ein virtueller Lionel Messi). Allein im Jahr 2020 haben solche Lootboxen einen Umsatz von 15 Milliarden US-Dollar generiert. Die Öffentlichkeit sorgt sich nun zunehmend, dass Spieleentwickler:innen Lootboxen nutzen, um Spieler:innen exzessiv dafür zahlen zu lassen, dass mit winzigen Wahrscheinlichkeiten solche Vorteile im Spiel erzielt werden können. Die Forschenden stellen drei Kriterien heraus, welche dazu führen, dass Spieler die Gewinnwahrscheinlichkeiten überschätzen und letztendlich zu viel zu zahlen bereit sind. Erstens geben Entwickler:innen üblicherweise nicht die Wahrscheinlichkeiten an, mit denen die jeweiligen Gewinne realisiert werden, sondern Wahrscheinlichkeiten werden nur für gewisse Intervalle an Gewinnen benannt. Zweitens gibt es in vielen Spielen eine öffentliche Prämierung derjenigen Spieler:innen, die einen außergewöhnlich hohen Gewinn erzielen konnten. Drittens werden solche lukrativen Gewinne grafisch besonders spektakulär präsentiert.

In einer Serie an Artikeln möchten die Forschenden vor allem drei Aspekte untersuchen: (i) In Labor- und Feldexperimenten möchten sie diejenigen Features identifizieren, die den Erfolg von Lootboxen ausmachen. Die Kernfrage ist dabei, inwiefern diese Features ausbeuterischer Natur sind. (ii) Sie möchten zudem untersuchen, inwiefern Firmen diese Features strategisch nutzen können, um die Zahlungsbereitschaft der Spieler:innen zu steigern. (iii) Schließlich möchten sie mithilfe eines Modells und Marktexperimenten untersuchen, wie unterschiedliche Regulierungsansätze (beispielsweise solche, die die Transparenz der Angebote erhöht oder solche, die die Wettbewerbsintensität auf dem Markt erhöht) wohlfahrtsfördernd wirken können.

Ausgestaltung finanzieller Produkte, um begrenzte Aufmerksamkeit von Kleinanlegern auszunutzen
Markus Dertwinkel-Kalt von der Universität Münster und André Romahn von der HHU Düsseldorf untersuchen in diesem auf vier Jahre angelegten Projekt die Auswirkungen von eingeschränkter Aufmerksamkeit auf das Anlageverhalten von Kleinanlegern. Hierzu verwenden sie sowohl Experimental- als auch Feld- bzw. Marktdaten. Besonderes Interesse gilt Salienzeffekten, welche Firmen mit geringem Aufwand ausnutzen können, also denen, die sich auf die Etikettierung von Finanzprodukten beziehen, auf deren relative Positionierung sowie auf die Vermarktung bestimmter Anlagestrategien. Es gibt viele Hinweise darauf, dass Finanzunternehmen solche Salienzeffekte ausnutzen. Beispielsweise hat sich die Anzahl der Fonds und unterschiedlicher Fondskategorien in den letzten 20 Jahren drastisch erhöht. In den letzten 5 Jahren hat es in den USA mehr investierbare Indizes als an der Börse notierte Firmen gegeben. Im Durchschnitt kommen auf einen einzelnen Index nur 5 Fonds, die diesen Index als Referenz nutzen, und drei Viertel aller Indizes werden nur von einem einzelnen Fonds genutzt. Fonds, die auf solchen Nischenindizes basieren, stellen ihren Investoren im Schnitt höhere Verwaltungsgebühren in Rechnung als Konkurrenzangebote, die auf weitverbreiteten Indizes basieren. Betrachtet man den Markt für Indizes, so fällt auf, dass im Jahr 2018 die drei größten Anbieter zusammen gerechnet einen Anteil von 80 Prozent am gesamten indexgebundenen verwalteten Finanzvermögen ausmachten. Standardmodelle der Wirtschaftswissenschaften können solche Muster kaum erklären. Alternative Modelle, die die begrenzte kognitive Kapazität von Investoren explizit mit einbeziehen, sind in dieser Hinsicht vielversprechender. Um wirtschaftspolitische Entscheidungen faktenbasiert treffen zu können, ist es erforderlich, die Wirkungsweise von Salienzeffekten zu verstehen und quantitativ bemessen zu können.

Mit einem experimentellen Ansatz möchten die Forscher verstehen, (1) wie Referenzindizes gewählt werden können, um Produkte attraktiver erscheinen zu lassen und somit die Profite der Emittenten zu steigern, und (2) welche Anlagestrategien prominent vermarktet werden können, um das Anlagevolumen zu steigern. Mit Experimenten und einem strukturellen Modell soll quantifiziert und getestet werden, ob (3) saliente Etiketten und Referenzindizes genutzt werden können, um die Nachfrage für Finanzprodukte mit nachteiliger Kostenstruktur zu erhöhen. Mit einem rein strukturellen Ansatz soll untersucht werden (4) wie Richtlinien, die die Verfügbarkeit von Nischenindizes begrenzen und die Berücksichtigung relevanter Informationen durch Kleinanleger erhöhen, die Investorenwohlfahrt und die Profite der Index- und Fondsanbieter beeinflussen.

 

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News: Neue DFG-Forschergruppe

Projekt Unternehmensreaktionen bei ungerichteter Allokation von Aufmerksamkeit

Projekt Ausgestaltung finanzieller Produkte, um begrenzte Aufmerksamkeit von Kleinanlegern auszunutzen

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