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Dekanat

Wohnraum für Flüchtlinge - Eine Herausforderung für Politik, Gesellschaft und Wohnungsgenossenschaften

Bericht zum 27. Symposium „Perspektiven für Wohnungsgenossenschaften“
(v.l.n.r.) Frank Nolte, Sigrid Koeppinghoff, Carsten Herlitz, Theresia Theurl, Ulrich Brombach, Petra Eggert-Höfel, Werner Nußbaum, Alexander Rychter

Am 5. April 2016 fand das 27. Symposium „Perspektiven für Wohnungsgenossenschaften“ des Instituts für Genossenschaftswesen der Universität Münster in Kooperation mit dem VdW Rheinland Westfalen e.V. statt. Vor etwa 110 Teilnehmern referierten Spitzenvertreter aus Wohnungswirtschaft, Wissenschaft und Politik über die Herausforderungen bei der Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge. Die Teilnehmer diskutierten vor dem Hintergrund rechtlicher Rahmenbedingungen über Handlungsoptionen von Wohnungsgenossenschaften, Flüchtlinge unterzubringen und damit gleichzeitig Mehrwerte für ihre Mitglieder zu erzielen. In diesem Zusammenhang konnten spezifische Handlungsempfehlungen an die Politik formuliert werden. Insbesondere eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, eine Vernetzung von Wohnungsbaugesellschaften und den Kommunen sowie eine Steigerung der Ausweisung von Grundstücken waren Ergebnisse der intensiven Debatte.

RA Alexander Rychter, Verbandsdirektor des VdW Rheinland Westfalen e.V., betonte in seiner Begrüßung die zusätzlichen Herausforderungen für den Wohnungsmarkt durch die hohen Flüchtlingszahlen der vergangenen Monate. Rychter verwies ausdrücklich auf die Notwendigkeiten in höherem Umfang Bauland auszuweisen, Baugenehmigungsverfahren zu beschleunigen sowie Auflagen zu hinterfragen, welche den Wohnungsbau überproportional verteuern. Von besonderer Bedeutung ist für Rychter darüber hinaus, dass die zukünftigen Investitionen im sozialen Wohnbau zwar auch von Flüchtlingen genutzt werden können, sich jedoch an alle Menschen richten müssen.

In Ihrem Vortrag „Wohnraum für Flüchtlinge – Was leistet die Politik?“ skizzierte Sigrid Koeppinghoff, Leiterin der Abteilung Wohnungsbau, Wohnungs- und Siedlungsentwicklung im Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen die mittelfristig steigende Nachfrage nach Wohnraum in Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus präsentierte Koeppinghoff die politischen Strategien, welche den benötigten Wohnungsbau der nächsten Jahre sicherstellen sollen. Zielsetzung der wohnungspolitischen Aktivitäten des Ministeriums sind laut Koeppinghoff nachhaltig attraktive Wohnungen, die kurzfristig für die Flüchtlingsunterbringung genutzt werden können.

Der Titel des anschließenden Vortrags von RA Carsten Herlitz, Justiziar des GdW - Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. lautete „Unterbringung von Flüchtlingen – Rechtliche Rahmenbedingungen“. Während in der Frage der Erstunterbringung von in Deutschland ankommenden Flüchtlingen durch die Asylpakete I und II bereits ein verbindlicher rechtlicher Rahmen geschaffen worden ist, sieht sich der Umgang mit mittelfristig in Deutschland bleibenden Flüchtlingen einiger Unsicherheit ausgesetzt. Laut Herlitz würde eine neue Mischung an politischen Handlungsoptionen benötigt, um die ambitionierten Pläne im Wohnungsbau zu erreichen. So ist insbesondere eine Neuorientierung der politischen Förderung des sozialen Wohnbaus im Spannungsfeld zwischen Quantität und Qualität des angebotenen Wohnraums anzuvisieren.

In Ihrem Vortrag „Besonderheiten der Unterbringung von Flüchtlingen in Wohnungsgenossenschaften“ stellte Univ.-Prof. Dr. Theresia Theurl, Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen der Universität Münster, die Motive, strategischen Überlegungen und Umsetzungsmöglichkeiten der Wohnungsgenossenschaften bei der Unterbringung von Flüchtlingen dar. Bedingt durch die lokale Verankerung sowie die soziale Verantwortung ist es die Aufgabe jeder Wohnungsgenossenschaft, sich mit der Frage nach der Bereitstellung von Wohnraum für Flüchtlinge zu befassen. Darüber hinaus bestehen durch ein entsprechendes Engagement die Möglichkeiten junge Mitglieder für Wohnungsgenossenschaften zu gewinnen, Leerstand zu reduzieren und an Reputation zu gewinnen. Darüber hinaus verwies Prof. Theurl auf die Notwendigkeit einer Analyse der jeweiligen Rahmenbedingungen, da sowohl die Strukturstärke, als auch die Aktivitäten der Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung entscheidenden Einfluss auf die Anforderungskriterien an Wohnungsgenossenschaften haben.

Der anschließende Vortrag „Folgen der Zuwanderung und Strategien lokaler Wohnraumpolitik“ von Dietrich Suhlrie, Mitglied des Vorstands der NRW.Bank, verdeutlichte den Bedarf an Wohnungsneubau in den Ballungsräumen des Landes Nordrhein-Westfalen sowohl für Flüchtlinge als auch für andere Bedarfsgruppen des sozialen Wohnbaus. Vor dem Hintergrund der bestehenden Erfahrungen mit Bevölkerungszuwächsen und Migrationsbewegungen in Nordrhein-Westfalen führte Suhlrie die Sicherstellung von Mobilität auf dem Wohnungsmarkt als wichtigen Beitrag für eine gelungene Integration der in Deutschland bleibenden Flüchtlinge an. Als strategische Instrumente lokaler Wohnraumpolitik konnten die Vermeidung weiterer Erhöhungen der Baukosten und der Notwendigkeit, Genehmigungsprozesse zu verkürzen identifiziert werden. Eine Vernetzung aller Partner sowie eine Steigerung an ausgewiesenen Grundstücken sei darüber hinaus wesentlich.

In seinem Vortrag „Unterbringung von Flüchtlingen – Bericht über erste Erfahrungen“ referierte Frank Nolte, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte eG, zu der Unterbringung von 58 Flüchtlingen in den Immobilien der Wohnungsgenossenschaft. Es wurden zu diesem Zweck sowohl Wohnungen direkt an Flüchtlinge als auch an die Kommune vermietet. Von besonderer Bedeutung für die gelungene Unterbringung und Integration der Flüchtlinge ist für Nolte zudem die Kooperation mit lokalen Sozialverbänden gewesen, wodurch eine geeignete Ergänzung zu der bestehenden Mieterstruktur der Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte eG gefunden werden konnte. Die Unterbringung von Flüchtlingen ermöglichte darüber hinaus die Zwischennutzung einer Immobilie, welche geringe Marktaussichten hatte und mittelfristig abgerissen werden sollte. Um dies zu realisieren, wurden die öffentlichen Fördermittel der NRW.Bank genutzt, sodass die Flüchtlingsunterbringung einen Mehrwert für alle Mitglieder der Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte eG geschaffen hat.

Der anschließende Vortrag „Flüchtlingsunterbringung in Ballungsgebieten – Möglichkeiten und Herausforderungen“ von Werner Nußbaum, geschäftsführender Vorstand der gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft DIE EHRENFELDER thematisierte die Möglichkeiten der Flüchtlingsunterbringung für Wohnungsgenossenschaften in strukturstarken Regionen anhand des Beispiels der Stadt Köln. Nußbaum berichtete von der Zielsetzung der Wohnungsgenossenschaft trotz eines Leerstandes von lediglich 0,01% jährlich zehn Wohneinheiten zur Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung zu stellen. Auf Grundlage einer umfassenden Kommunikation mit den eigenen Mitgliedern gründete sich innerhalb der Wohnungsgenossenschaft zudem eine eigene Willkommensinitiative, welche durch die Einrichtung eines Hilfsportals und einiger Patenschaften den neuen Mitgliedern das Verständnis der Genossenschaftsidee näherbringen.

Petra Eggert-Höfel, Vorstandsvorsitzende der Bau- und Siedlungsgenossenschaft für den Kreis Herford eG, präsentierte in ihrem Vortrag zum Thema „Neubau für Flüchtlinge im ländlichen Raum“ die Möglichkeiten für Wohnungsgenossenschaft in strukturschwachen Regionen nachhaltig kostengünstigen Wohnraum anzubieten, der bereits kurzfristig zur Flüchtlingsunterbringung genutzt werden kann. Über eine Zwischennutzung von zum Abriss bestimmten Wohnanlagen hinausgehend, kann durch eine einfache Baukonstruktion mit kurzer Entwicklungs- und Bauzeit eine Bereitstellung neuen Wohnraums realisiert werden. Eggert-Höfel hob in diesem Zusammenhang die Bedeutung variabler Nutzungsmöglichkeiten der Immobilien, die einfache konzeptionelle Übertragbarkeit auf unterschiedliche Standorte sowie die dezentrale Einbindung in bestehende Wohnquartiere hervor. Dieser ganzheitliche Ansatz des Wohnungsbaus ermöglicht somit eine Anschlussnutzung an die Flüchtlingsunterbringung für betreutes Wohnen, Wohngemeinschaften und Familien zu günstigen Konditionen.

Den Abschluss des Symposiums bildete der Vortrag von Dipl.-Ing. Ulrich Brombach, Vorstandsmitglied der Gemeinnützige Wohnungs-Genossenschaft eG Neuss, zum Thema „Zwischennutzung als Unterbringungsmöglichkeit für Flüchtlinge – Voraussetzungen und Umsetzung“. Brombach schilderte die Entscheidungsfindung der GWG Neuss eG auf Grundlage ihrer eigenen Historie und präsentierte die Flüchtlingsunterbringung als Zwischennutzung eines geplanten Langzeitprojektes. Insbesondere die enge Kooperation mit der Stadt Neuss stellte Brombach als einen wesentlichen Erfolgsfaktor heraus. Zudem konnte die intensive Kommunikation mit den Genossenschaftsmitgliedern, aus der sich eine aktive Unterstützung der untergebrachten Flüchtlinge entwickelte, als bedeutsamer Bestandteil des Managements identifiziert werden.

Das 28. Symposium „Perspektiven für Wohnungsgenossenschaften“ wird am 25.Oktober 2016 stattfinden. Sämtliche Informationen über die Inhalte der Veranstaltung finden Sie auf der Homepage des Institutes für Genossenschaftswesen Münster.