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Dekanat

Soziale Marktwirtschaft zwischen Tradition und neuen Herausforderungen

Anlässlich des 100. Geburtstags seines ehemaligen geschäftsführenden Direktors Prof. Dr. Dr. h.c. Erik Boettcher veranstaltete das Institut für Genossenschaftswesen (IfG) in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Joachim Wiemeyer (Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre, Ruhr-Universität Bochum) und der Akademie Franz Hitze-Haus am 25. und 26. April 2019 eine Fachtagung zum Thema „Soziale Marktwirtschaft zwischen Tradition und neuen Herausforderungen“, zu der das IfG mehr als 40 Teilnehmer begrüßen konnte. Neben Familienmitgliedern Erik Boettchers waren dieses insbesondere seine Schüler und Weggefährten sowie Mitglieder der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, die den Weg nach Münster fanden. Die hochrangigen Gäste verdeutlichten, wie nachhaltig das Wirken Erik Boettchers war. Zahlreiche seine Schüler wirkten und wirken heute noch als Professoren fort, unter Ihnen Prof. Dr. Karl Homann (Universität München) oder Prof. Viktor Vanberg, der nach seiner Zeit in Münster den Hayek-Lehrstuhl an der Universität Freiburg übernahm und langjähriger Direktor des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg war. Weit angereist waren u.a.  Prof. Dr. Chong-In Kim aus Südkorea,  Dr. Aka Amuam aus Kamerun und Dr. Manuel Leon Alvarado aus Spanien. Kim, der am IfG bei Prof. Boettcher promovierte und später zahlreiche hochrangige politische Positionen bekleidete, war u.a. koreanischer Gesundheitsminister, Dr. Amuam ist heute Mitglied der Nationalversammlung in Kamerun, während Dr. Leon eine unternehmerische Karriere einschlug und ein ihm gehörendes Kosmetikunternehmen in Madrid leitet.

Prof. Erik Boettcher wurde 1919 in Arensburg (Estland) geboren. Nach dem Studium der Nationalökonomie in Kiel promovierte er anschließend auch bei Gerhard Mackenroth an dieser Universität. Nach der Übernahme einer Professur in Hohenheim folgte er 1963 dem Ruf an die Universität Münster an das Institut für Genossenschaftswesen, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1984 tätig war. Prof. Boettcher starb im Jahr 1992 in Hamburg.

Die Funktionsweise von Wirtschaftssystemen und auch deren Vergleich waren ein wesentlicher Inhalt der Arbeit Erik Boettchers und folglich leistete er auch wesentliche Beiträge zum Verständnis der Sozialen Marktwirtschaft. In dieser Tradition machte Viktor Vanberg in seinem Vortrag das Verhältnis von Marktwirtschaft und Demokratie deutlich. Marktwirtschaft und Demokratie stehen für ihn in einem komplementären Verhältnis. Der Regelrahmen der Marktwirtschaft wird in demokratischen Entscheidungen bestimmt. Beide – Marktwirtschaft und Demokratie – erfahren ihre Legitimation in der Wertung des einzelnen, was in ihnen erlaubt sein soll und darf. Welche praktischen Probleme sich aus der Regelsetzung für das praktische wirtschaftliche Handeln dann ergeben können, machten Prof. Dr. Joachim Wiemeyer und Prof. Dr. Norbert Eickhof deutlich. Norbert Eickhof betrachtete die Politik der deutschen Energiewende. Die zahlreichen Bestimmungen standen in einem deutlichen Widerspruch zu marktwirtschaftlichen Prinzipien, da seitens der Regelsetzer (also der Politik) durch die Regulierung bestimmte Technologien bevorzugt wurden und kurzsichtig deren Implikationen übersehen wurden, was wiederum zu Folgeregulierungen führte, so dass schließlich ein Dschungel von über 4000 Fördertarifen entstanden ist. Zu bevorzugen wäre z.B. ein marktorientierter Emissionshandel, der solche Technologieentscheidungen einem marktlichen Entdeckungsverfahren unterwirft und damit zu effizienten Ergebnissen gelangt. Joachim Wiemeyer widmete sich den Herausforderungen der Sozialpolitik, für die zwei unterschiedliche Konzeptionen unterschieden werden können: das Machtprinzip und das Effizienzprinzip. Während das Machtprinzip von einem grundsätzlichen Gegensatz von Marktwirtschaft und Sozialpolitik ausgeht, nimmt die Effizienzkonzeption an, dass eine grundsätzliche Vereinbarkeit von Marktwirtschaft und Sozialpolitik besteht, diese sogar als Voraussetzung für Märkte gesehen werden, um Marktversagenstatbestände zu korrigieren., so dass ihr – richtig implementiert – sogar eine gewisse Produktivkraft zugesprochen werden kann.

Karl Homann hob in seinem Beitrag die Bedeutung der Kooperation für das Verständnis der Marktwirtschaft hervor. Kooperationstheorie ist vielmehr eine Interaktionstheorie, deren Basis das bekannte Gefangenendilemma ist. Die ökonomische Theorie hat einerseits zu erklären, wie sich der Einzelne in einer Situation des Gefangenendilemmas verhält und andererseits die die Strategie des Defektierens (also der Nicht-Kooperation) sich manifestiert, d.h. es ist zu erklären, wie das nicht-kooperative Verhalten überwunden werden kann und wie zugleich unerwünschte Kooperation verhindert werden kann. Für nicht-kooperatives Verhalten gibt es laut Homann zwei moralisch unterschiedlich zu bewertende Gründe: die Gier und den Schutz vor dem ausgebeutet werden. Problem der Dilemmasituation ist, dass gesellschaftlich Ergebnisse erzielt werden, die nicht im Willen des Einzelnen stehen. Oder anders formuliert: Moralisch wünschbare Ziele hängen nicht vom Wohlwollen des Einzelnen ab. Um also moralisch handeln zu können, muss der Einzelne insbesondere vor der Ausbeutung in der Interaktion der Dilemmasituation geschützt werden. Diese Freiheit des Einzelnen muss das Ziel sein, für das die institutionellen Voraussetzungen zu schaffen sind. Es sind diese Institutionen, die für einen Markt und sein Funktionieren wichtig sind.

Schließlich gab Theresia Theurl, aktuelle geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen, einen Überblick die aktuellen Tätigkeiten des Instituts und die Weiterführung der Kooperations- und Genossenschaftsforschung. In den vergangenen Jahren wurde mit dem MemberValue eine systematische Analyse der genossenschaftlichen Mitgliederbeziehung ermöglicht, die auch empirische Überprüfungen zulässt. Daneben werden auch neue potentielle Einsatzfelder für Genossenschaften identifiziert. Für Theurl sind dieses die Schaffung und Erhaltung von Infrastrukturen, die Nahversorgung, persönliche Dienstleistungen, unternehmerische Dienstleistungen (z.B. die genossenschaftliche Cloud) oder auch die Plattformökonomie.