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Dekanat

WIR FB4 – fünf Fragen an Prof. Dr. Gernot Sieg

Seit 2013 ist Professor Gernot Sieg Inhaber des Lehrstuhls für Industrieökonomik, insbesondere Infrastruktur- und Verkehrsökonomik am FB4. Zudem ist er Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft Münster. Zuvor leitete er das Institut für Volkswirtschaftslehre der TU Braunschweig. Längere Lehr- und Forschungsaufenthalte verbrachte er an der University of Southern California und der Free University of Bozen. Im Zuge seiner Forschungstätigkeit befasst sich Prof. Sieg mit der Industrieökonomik von Verkehrsmärkten. Wir haben Ihm fünf Fragen zur aktuellen Diesel-Debatte gestellt:

1. Herr Prof. Sieg, die Richter des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig halten Dieselfahrverbote für zulässig. Worauf müssen sich Besitzer von Dieselfahrzeugen nun einstellen? Wird es zu großflächigen Fahrverboten kommen?

In über 60 Städten in Deutschland werden aktuell die Jahresgrenzwerte für Stickoxide überschritten. Wenn der Bund die Möglichkeiten von stadtweiten Fahrverboten (blaue Plakette) schafft, dann werden viele dieser Städte eine Plakettenpflicht einführen. Bisher jedoch, und so steht es auch im Koalitionsvertrag, will die Bundesregierung solche Fahrverbote verhindern und kündigt an, den rechtlichen Rahmen für solche Fahrverbote nicht zu schaffen. Ohne diesen Rahmen verbleiben den Städten nur andere Maßnahmen wie streckengebundene Fahrverbote. Dieses wird die Besitzer von Dieselfahrzeugen wenig beeinträchtigen.

2. Was halten Sie selbst von Fahrverboten für Dieselfahrzeuge?

Führt man eine Plakettenpflicht überstürzt ein, so sind die Kosten der Mobilitätseinschränkungen größer als der Nutzen. Individuelle Mobilität und saubere Luft sind kein Widerspruch, denn mit den aktuellen Dieselmotoren der Norm 6-d-temp könnte man die Grenzwerte einhalten. Von daher sollte das Ziel der Flottentausch sein. Den kann man beschleunigen, in dem die Plakettenpflicht mit genügend Vorlauf, etwa 2 Jahre, angekündigt wird. Im Jahr 2021 werden viele Städte die Grenzwerte erfüllen und man müsste dann die Plakette nur in wenigen Städten wirklich einführen. Auch würden dann nur wenige Pkw betroffen, weil der Flottentausch schon fortgeschritten ist.

3. Falls es zu Fahrverboten kommt, werden Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen, um auch weiterhin Zugang zu Innenstädten zu erhalten. Wer muss im Endeffekt für die Nachrüstung aufkommen?

Die Verursacher des Problems vermutlich nicht. Die Bundesregierungen unter Kanzlerin Merkel haben im Schulterschluss mit der Automobilindustrie in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass den Konsumenten Pkw verkauft werden konnten, die die Abgasnormen nur auf dem Papier erfüllten. Dieses Fehlverhalten wird jedoch nicht sanktioniert werden. Von den Automobilherstellern kann rechtlich kein Schadensersatz verlangt werden, und auch das Land Niedersachsen als Miteigentümer von VW unternimmt nichts, um die beschummelten Kunden zu entschädigen. Die Bundesregierung verwendet zwar fast die Hälfte der 40 Milliarden Euro der Steuern auf Diesel und Benzin für andere als Verkehrszwecke, aber wird diese Mittel auch nicht für eine Entschädigung der Eigentümer von Diesel-Pkw einsetzen. Am Ende sind es die Diesel-Pkw-Eigentümer die den Schaden haben, entweder mit Nachrüstungskosten, oder aber, wenn die Nachrüstung unmöglich ist oder sich nicht rechnet, mit Wertverlusten beim Verkauf der Diesel-Pkw und überhöhten Preisen beim Kauf eines Neu- oder Gebrauchtwagens.

4. Wie beurteilen Sie den Vorstoß der Bundesregierung zum kostenlosen Nahverkehr?

Zur Lösung der Luftschadstoffprobleme ist kostenloser ÖPNV wenig geeignet. Es werden nur wenige Dieselfahrer umsteigen, dafür aber auch Fußgänger und Radfahrer. Es werden überwiegend Mitnahmeeffekte generiert. Um neue Kunden befördern zu können, müssen die Kapazitäten ausgebaut werden, was wiederum hohe Kosten verursacht.  Man erreicht also mit immens hohen Mitteln sehr wenig. Das heißt nicht, dass man in staugeplagten Städten nicht auch über eine Erhöhung der Subventionen für den ÖPNV verbunden mit einem verbesserten Angebot nachdenken sollte.

5. Inwiefern wirkt sich die aktuelle Debatte auf die Relevanz alternativer Antriebstechnologien aus?

Die aktuelle Diskussion bringt alternative Antriebe mehr in den Fokus der Verbraucher und wird so die Industrie zwingen, bessere und vielfältigere Angebote zu machen. Während in Oslo schon jetzt fast jeder zweite neu zugelassene Pkw ein echtes E-Auto ist, beträgt die Wartezeit für einen E-Golf in Deutschland über ein Jahr. Da verkaufen die Händler lieber konventionelle Pkw, und der Kunde, der seinen Diesel schnell austauschen muss, einen Benziner.