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"Deutschland besitzt auf den Finanzmärkten hohes Ansehen"

Ökonomin Prof. Dr. Nadine Riedel über die Herausforderung der steigenden Staatsverschuldung

Über Jahre hinweg wurde die schwarze Null gepredigt. Derzeit gibt die Bundesregierung für die Coronapandemie 400 Milliarden Euro, die Bundeswehr 100 Milliarden Euro und den Klimafonds 60 Milliarden Euro zusätzlich aus. Die Verschuldung des deutschen Staates nimmt also deutlich zu. Prof. Dr. Nadine Riedel, Direktorin des Instituts für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomik der WWU, erläutert im Interview mit Kathrin Nolte die Herausforderungen in Krisenzeiten und wie die solide Haushaltpolitik vor der Coronapandemie nun hilft.

Ist das Schuldenmachen plötzlich kein Problem mehr?

Konjunkturprogramme sind in Wirtschaftskrisen sinnvoll, um die Ökonomie zu stabilisieren. In guten Zeiten müssen Staatshaushalte dann konsequent konsolidiert werden. Gerade wegen der soliden Haushaltspolitik der Vor-Corona-Jahre waren in Deutschland 2020 große fiskalische Spielräume vorhanden, um mit Stützungsprogrammen auf die Covidkrise zu reagieren.

Wie lange kann eine Verschuldung in diesem Ausmaß andauern?

Im internationalen Vergleich ist Deutschlands Staatsschuldenquote moderat. Allgemein gilt: Es gibt keine feste Grenze, ab der Staatsverschuldung kritisch wird. Am Ende müssen die Gläubiger eines Staates darauf vertrauen, dass auslaufende Schulden refinanziert werden können. Deutschland besitzt auf den Finanzmärkten hohes Ansehen und kann sich zu günstigen Bedingungen finanzieren. Ich sehe hier keine Gefahr.

Trotzdem ist die Politik gefordert, die Staatsschuldenquote mittelfristig zurückzuführen, um auch in künftigen Krisen handlungsfähig zu bleiben. Das ist eine Herausforderung. Denn eine Konsolidierung über Primärüberschüsse erscheint unrealistisch – allein der Umbau der Energieversorgung und der Weg zur Klimaneutralität erfordern erhebliche staatliche Anstrengungen. Auch die Zinsentwicklung ist ungewiss. Zudem dämpfen die geopolitische Lage und die steigenden Energiepreise die wirtschaftliche Erholung und reduzieren den Spielraum, aus den Schulden „herauszuwachsen“.

Der Vertrag von Maastricht legt für die EU-Mitgliedstaaten einen Schuldenstand in Höhe von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fest. Deutschland liegt aktuell bei 70, Italien bei 155 und Frankreich bei 116 Prozent. Die Verschuldung nimmt auch innerhalb der Europäischen Union (EU) zu. Ist das aufgrund des Ukraine-Krieges gerechtfertigt?

Wenn Schocks auftreten, ist eine intertemporale Glättung der Finanzierung zusätzlicher Lasten durch Staatsverschuldung durchaus sinnvoll. Aber die Schulden dürfen nicht so hoch werden, dass Zweifel an der Rückzahlungsfähigkeit aufkommen.

Auf 5,8 Prozent ist die Inflation im Euroraum im Februar gestiegen, das ist der höchste Wert seit Einführung der gemeinsamen Währung. In Deutschland ist die Inflation etwas niedriger, aber sie notiert ebenfalls auf einem Niveau, wie es die Deutschen seit Jahrzehnten nicht gesehen haben. Welche Rolle nimmt die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) in dieser Situation ein?

Kurzfristig kann die EZB die Preissteigerungsrate nicht beeinflussen. Mittelfristig muss die EZB eingreifen, falls sich die Erwartungen höherer Inflation im privaten Sektor verfestigen. Ihr Mandat ist, die Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten. Dabei befindet sie sich in einer schwierigen Situation. Denn Zinserhöhungen können für hoch verschuldete Euroländer eine Herausforderung sein.