Zur effizienteren Gestaltung von PCR-Tests

Was die Universität Hannover, Gottfried W. Leibniz und PCR-Tests gemeinsam haben? Auf den ersten Blick: nichts. Sieht man genauer hin, ändert sich das Bild. Die Universität Hannover nennt sich Leibniz-Universität und ihr offizielles Logo zeigt vertikal die Zahlen 1, 2 und 4, daneben die gleichen Zahlen im Binär-Code: 1, 01, 100. Leibniz (1646-1716) gilt als Erfinder des Binärcodes, der im Prinzip ganz einfach funktioniert: Alle ganzen Zahlen werden nur mit Hilfe von Einsen und Nullen von rechts nach links dargestellt, also kodiert, indem jede Ziffer multipliziert wird mit der Zahl 2 hoch der Position der Ziffer in der Ziffernfolge. An der ersten Stelle, ganz rechts, steht die 20, das ist die Eins. An der zweiten Stelle steht die 21, das ist die zwei, an der dritten Stelle steht die 22 (also die vier), an der vierten Stelle die 23 (also die acht) – und so weiter. Mit diesem Prinzip kann man nun jede ganze Zahl darstellen: Eine 001 beispielsweise bedeutet, dass nur die erste Position (die eins) gezählt wird, eine 010 bedeutet, dass nur die zweite Position gezählt wird, eine 110, dass nur die zweite und dritte Position gezählt werden. Eine 001 ist also die binäre Darstellung der Eins, die 010 ist die zwei, die 110 die sechs, also vier plus zwei. Bei Computern ist der Binärcode die Grundlage für Berechnungen, da mit diesem Code „Spannung“ und „keine Spannung“ leicht zu unterscheiden sind und „Spannung“ dem Zustand „wahr“ und „keine Spannung“ dem Zustand „falsch“ zugeordnet werden können. Was aber soll das mit PCR-Tests auf das Coronavirus zu tun haben?
Leibniz und seine Binärcodes können helfen, knappe PCR-Test zu sparen. Bereits jetzt werden Test gepoolt, man nimmt also von mehreren Personen Proben, wirft sie in einen gemeinsamen Pool und testet diesen Pool mit einem Test. Bleibt der Test negativ, bedeutet das, dass alle Personen, deren Proben in diesem Pool sind, negativ sind. Ist der Test positiv, muss man nun alle Personen aus diesem Pool testen, um herauszufinden, wer infiziert ist. Auf diesem Weg werden Testkapazitäten eingespart und die individuellen Ergebnisse können schneller ermittelt werden.
Es geht aber noch effizienter, will heißen, ressourcensparender. An dieser Stelle kommt der Binärcode ins Spiel. Angenommen, eine Probe von 15 Personen soll auf das Coronavirus getestet werden. Dazu wird folgendes Vorgehen angewandt: Zunächst wird jede der 15 individuellen Proben in jeweils vier Proben – man spricht von Kopien – aufgeteilt, von jeder Person gibt es also vier Proben. Jede Person bekommt eine Nummer von eins bis 15, die man binär nach obigem Prinzip kodiert; die erste Person ist dann Person 0001, die zweite Person ist Person 0010 und so weiter. Die Kopien der Proben werden nun jeweils auf vier Pools aufgeteilt, aber nach einem einfachen Prinzip: Alle Proben von Personen, deren binäre Testnummer eine 1 an der letzten Stelle hat, kommen in Pool 1. Alle, deren binäre Testnummer eine 1 an der vorletzten Stelle hat, kommen in Pool 2. Entsprechend kommen alle Proben von Personen, deren Testnummer eine 1 an der drittletzten Stelle hat, in Pool 3. Zu guter Letzt kommen die Proben von Personen mit einer Testnummer, die eine 1 an der ersten Stelle hat, in Pool 4. Das bedeutet, dass beispielsweise die Proben der Person mit Testnummer eins (Nummer 0001) nur im ersten Pool vertreten sind, die Proben der Person Nummer zwei (Binärcode 0010) sind nur in Pool zwei vertreten, die Proben der Person mit der Testnummer sechs – deren binäre Zahl die 0110 ist – werden hingegen in Pool zwei und drei getan. Die Person Nummer 13, binär kodiert ist das die 1101 (da 20 + 22 + 23 = 13), ist in den Pools 1, 3 und 4 vertreten, die Probe der Person mit Testnummer 15, binär 1111, ist in allen vier Pools vorhanden. Nach dieser Aufteilung werden alle vier Pools getestet und diejenigen mit positivem Ergebnis ausgesondert.
Im nächsten Schritt werden die infizierten Personen identifiziert. Sollte genau ein Pool, etwa Pool 1, positiv getestet sein, dann können nur Personen infiziert sein, die an der letzten Stelle der binären Testnummer eine 1 haben, aber an allen anderen Stellen eine 0, da ja alle anderen Pools negativ getestet sind. Anders gesagt, nur eine Person, nämlich die Person 1 mit Testnummer 0001 kann infiziert sein. Die übrigen Personen in diesem Pool – wie man leicht nachprüfen kann, sind das die Testnummern 3, 5, 7, 9, 11, 13 und 15, da sie alle eine 1 an der ersten Stelle ihres Binärcodes haben – gehören nicht nur zum Pool 1, sondern auch zu mindestens einem anderen Pool. Sie können also nicht infiziert sein, denn sonst hätten auch diese anderen Pools positiv getestet sein müssen. Sie brauchen also nicht mehr getestet zu werden. Im herkömmlichen Verfahren müssten dagegen nicht nur die vier Pools, sondern darüber hinaus alle acht Personen in Pool 1 getestet werden.
Um das Vorgehen noch etwas weiter zu verdeutlichen, sei angenommen, dass zwei Pools positiv getestet sind, z.B. Pool 2 und Pool 3. Das bedeutet, dass keine Person mit einer binären Testnummer, die mit einer 1 an der ersten Stelle beginnt oder mit einer 1 an der letzten Stelle endet, infiziert sein kann, denn Pool eins und vier sind negativ getestet. Nur die Personen mit den Binärnummern 0110, 0100 und 0010 können infiziert sein, also Personen mit den Klartext-Nummern 2, 4 und 6. In diesem Fall sollte dann zuerst Person Nummer 6 (0110) getestet werden. Ist diese Person nicht infiziert, dann folgt, dass nur die Person 2 und 4 infiziert sind.
Das Muster der Vorgehensweise sollte mit diesem Beispiel mit 15 Personen deutlich geworden sein. Die Effizienzgewinne – also die Zahl der Tests, die man auf diese Weise sparen kann –, sind umso größer, je mehr Personen insgesamt zu testen sind. Das Verfahren wird zwar umfangreicher, kann aber mittels Algorithmen in Computerprogrammen umgesetzt werden.
Innovationen kommen nicht nur in der Technik und den Naturwissenschaften vor. Selbst altbekannte Ideen und Konzepte können intelligent auf neue Probleme angewandt werden - mit beachtlichen Erfolgsaussichten. Übrigens verdanken wir Leibniz nicht nur Binärcodes, sondern auch erste Konzepte für den Bau von Rechenmaschinen, die wir heute Computer nennen.
Quellen
Breger, H. (n.a.): Leibniz‘ binäres Zahlensystem als Grundlage der Computertechnologie.
Leibniz, G. (1859): Explication de l’Arithmétique Binaire. Leibnizens Mathematische Schriften. Hrsg. von C. I. Gerhardt. Halle: H. W. Schmidt.
Shental, N. et al. (2020): Efficient High-Throughput SARS-CoV-2 Testing to Detect Asymptomatic Carriers. Science Advances 6 (37).
Wolfstetter, E. (2022): Efficient Pooling in Covid-19 Testing. Discussion Paper.
Über die Autoren
Elmar Wolfstetter ist Emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin. Professuren hielt er an der FU Berlin, der State University of New York at Buffalo, seit 2008 besuchte er das Department of Economics der Korea University als Visiting Professor. Gastprofessuren führten ihn u.a. an die Yonsei University, Korea University, Shanghai University of Finance and Economics, Hebrew University, University of Haifa, University of Pittsburgh, University of Copenhagen, University of Bergen sowie die Universität Bern. Er war als Berater für die Weltbank, zahlreiche Unternehmen, Ministerien und Behörden tätig.
Aloys Prinz studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes und an der Universität zu Köln. Anschließend promovierte und habilitierte er an der Freien Universität Berlin. Er war von 1993-2000 Professor für Volkswirtschaftslehre, insbes. Wirtschaftspolitik, an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 2000 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre, insbes. Finanzwissenschaft, an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, wo er das Institut für Finanzwissenschaft II leitet.
Hanno Beck studierte Volkswirtschaftslehre an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, danach war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Bis 2006 war Hanno Beck Mitglied der Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit 2006 ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftspolitik an der Hochschule Pforzheim.