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„Strukturwandel der Öffentlichkeit und neue Medien“

Im Rahmen der Mitgliederversammlung der Forschungsgesellschaft für Genossenschaftswesen sprach der bekannte Journalist und Kommentator Roland Tichy, der auch Vorstandsvorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung ist, über den „Strukturwandel der Öffentlichkeit und neue Medien“. Er lieferte eine inspirierende Analyse über aktuelle Entwicklungen auf dem Markt der Medien.

Roland Tichy spannte einen historischen Bogen vom Entstehen der ersten Kommunikationsmittel und arbeitete heraus, wie sich die Kommunikationssysteme im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. So wurden vor einigen hundert Jahren Informationen lediglich über Bilder vermittelt, die allerdings nur an die damalige Elite gerichtet waren. Dementsprechend konnten auch nur diese die Inhalte der Bilder lesen und verstehen. Wir dagegen haben in der heutigen Zeit diese Fähigkeit verloren, da unsere Informationen inzwischen nicht mehr über Bilder sondern über die Schrift ausgetauscht werden. Nach Tichy habe sich die Schrift jedoch sehr langsam entwickelt und etabliert, da es zu Beginn nur wenige Bücher gab und damit nur sehr wenige Menschen lesen lernen konnten. Somit hat es Jahrhunderte gedauert, bis die Schrift sich verbreitete und sich ihre eigenen Formen und Märkte entwickelt haben. Der 30 jährige Krieg spielte bei diesem Prozess eine wesentliche Rolle. Es war der erste Propagandakrieg, der mit gedruckten Mitteln stattgefunden habe, wohingegen die Kirche noch mit Bildern entgegen zu wirken versuchte.

Spannend gestaltete sich auch die Entwicklung der Zeitungen. Demnach wurden diese schnell zum zentralen Mittel der Kommunikation, wodurch eine Öffentlichkeit der aufgeklärten Bürger entstanden sei. Ihren Ursprung hatte diese Entwicklung in Großbritannien, wo es eine Auseinandersetzung zwischen dem Fürstenhof und dem sich entwickelnden Bürgertum gab. Diese Auseinandersetzung spiegelte sich auch in den damaligen Namen der Zeitungen (bspw. the Guardian, the Observer, the Watchtower) wieder, wodurch ein Protest der Bürger gegen die Obrigkeit ausgedrückt werden sollte. Eine genetische Folge daraus sei – so Tichy –, dass seither die Journalisten immer gegen die Obrigkeit sind bzw. sein sollten. Dementsprechend sei auch unser heutiges Verständnis von Demokratie überhaupt erst möglich geworden, weshalb diese Form der Kommunikation einen enormen Stellenwert genieße und als ein ungeheurer Reichtumsmotor gelte. Der Reichtum heutiger Internetriesen, wie bspw. Google oder Apple sei historisch gesehen keine Neuigkeit, da diese Stellung früher Zeitungsfürsten und Druckmaschinenhersteller eingenommen haben.

Außerdem erläuterte Herr Tichy, dass es sich bei Zeitungen strukturell gesehen um Märkte ohne große Konkurrenz handle. Zeitungen waren und sind eine Art natürliche Monopole, da für die Gründung einer Zeitung enorm viel Kapital benötigt wurde und noch immer wird. Auch kam Herr Tichy über die Macht der Journalisten zu sprechen. Er erläuterte, dass diese eine zentrale Figur eingenommen haben und zu Gatekeepern wurden. Unter Gatekeeper sind eine kleine Gruppe von Menschen zu verstehen, die darüber entscheiden können, welche Inhalte in einer Zeitung aufgenommen werden sollen und welche nicht. Daher stellte sich die Kommunikationstheorie und die Gesetzgebung die Frage: Wer ist der Gatekeeper und wie kontrolliert man diesen, sodass er gut ausgebildet ist und nicht manipulativ wirkt? In Deutschland wurde auf diese Frage mit der Etablierung des öffentlich rechtlichen Rundfunksystems geantwortet.    

Anschließend analysierte der Referent die aktuelle Situation in der Medienlandschaft. Anhand einer Grafik zeigte er, dass die Auflagen der Tageszeitungen stetig sinken, da diese in Konkurrenz mit anderen Medien (Internet und Fernsehen) stünden. Demnach befinden wir uns in einer Zeit, in der es eine Vielzahl von Kanälen gebe und in der die Bedeutung der Schrift wieder abnehme. Ähnlich wie vor einigen hundert Jahren Bilder als Kommunikationssysteme genutzt wurden, spielen nun neben der Schrift auch wieder Bilder und Filme vermehrt eine Rolle. Dabei gab Herr Tichy zu bedenken, dass die Welt der Bilder anders wirke als die Welt der Schrift. So sei die Schrift immer rational, da beim Lesen eines Textes ständig versucht werde, diesen zu hinterfragen. Bilder haben dagegen einen sehr viel suggestiveren Charakter als die Schrift, was eine Veränderung der Öffentlichkeit zur Folge habe.

Roland Tichy ging auch auf den technischen Fortschritt ein. Dieser führte dazu, dass die Menschen über ein neues Massenmedium – nämlich Smartphones – verfügen, mit dem sie eigene Nachrichten kostengünstig produzieren und über ein Netzwerk (bspw. Facebook, Twitter) unkontrolliert auszutauschen können. Diese dezentrale Form der Kommunikation habe zur Folge, dass sich die Macht des einstigen Gatekeepers auflöse, was Herr Tichy mit dem prägnanten Satz beschrieb: „Sie entscheiden nun nicht mehr, welches Schiff durch die Schleuse darf.“ Diese Entwicklung habe zwei Prozesse ausgelöst. Zum einen werde dadurch die Uniformität im Produkt (also die Gleichheit der Zeitungsinhalte) aufgelöst, was dazu führen kann, dass die Menschen keine gemeinsame Basis mehr finden. Zum anderen stünden heute moderne Kontrollinstrumente zur Verfügung, mit denen eine Kontrolle von unten nach oben möglich sei. Letzteres verdeutlichte Herr Tichy anhand der Bilder, die den gemeinsamen Protest der Staatsmänner nach dem Attentat auf Charlie Hebdo zeigen. Diese Bilder seien manipuliert worden, da hier keine Massendemonstration, sondern lediglich eine gestellte Szene, mit ein paar hundert Menschen und abgeschirmt in einer Nebenstraße, zu sehen ist.

Insgesamt  macht sich der Strukturwandel der neuen Medien darin bemerkbar, dass es heutzutage ein leichtes ist, sich selbst darzustellen, was allerdings kontrollierbar geworden ist. Außerdem haben die einstigen Gatekeeper ihre Macht verloren und wir leben wieder in einer Welt der Bilder.

Zur Person:

Roland Tichy ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule, studierte in München und New Orleans Volkswirtschaft, Politik und Kommunikationswissenschaften. Er arbeitete als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Gesundheitsökonomik am Volkswirtschaftlichen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach der Regierungsübernahme durch Helmut Kohl wechselte Tichy für zwei Jahre in den Planungsstab des Bundeskanzleramts. Anschließend ging er als Bonner Korrespondent zur Wirtschaftswoche. Nach der Wiedervereinigung war er als Stellvertreter des Rundfunkbeauftragten der Neuen Länder für die Neugestaltung der elektronischen Medienlandschaft in den neuen Bundesländern mitverantwortlich. Roland Tichy arbeitete für namhafte deutsche Wirtschaftsmagazine. Bei der Daimler Benz AG leitete er das Ressort „Corporate Issues Management“, das direkt dem Vorstandsvorsitzenden berichtete. Für das Handelsblatt leitete Tichy das Berliner Büro. Von 2007 bis 2014 war er Chefredakteur der Wirtschaftswoche. Bücher schrieb Roland Tichy zum Thema Einwanderung und Bevölkerungsentwicklung. Im Juli 2014 wurde Tichy zum Vorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung gewählt und ist Gründer des Internet-Portals „Tichys Einblick“.