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Ökonomen und Juristen diskutieren Kartellrechtsverstöße

Das Wettbewerbsrecht weist nicht nur eine rechtliche, sondern stets auch eine ausgeprägte ökonomische Dimension auf. Dieses Zusammenspiel bildet die Basis für das „Forum Kartellrecht“, in dem Juristen und Ökonomen aktuelle Entwicklungen des Wettbewerbsrechts im besten interdisziplinären Einvernehmen kontrovers, jedoch immer konstruktiv diskutieren.

Den aktuellen Anlass bildete die Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (Kartellschadensersatz-RL). Diese Richtlinie ist bis zum 27. Dezember 2016 in deutsches Recht umzusetzen. Ihre Zielsetzung besteht vor allem darin, Unternehmen und Privatpersonen, die durch Verstöße gegen die europäischen Wettbewerbsregeln geschädigt wurden, EU-weit einen effektiveren Rechtsschutz zu verschaffen. So soll „jedermann“, der durch Kartelle oder Marktmachtmissbrauch direkt oder indirekt geschädigt wurde, zukünftig die Möglichkeit besitzen auf Schadenersatz zu klagen. Die Effektivität der Wettbewerbsregeln soll also durch „Private Enforcement“ gestärkt werden. Des Weiteren sollen die nationalen Rechtsordnungen in wichtigen relevanten Punkten harmonisiert werden. Die zu erwartende Zunahme von privaten Klagen wird zudem vermehrt ökonomischen Rat erfordern, vor allem bei der Operationalisierung und der Schätzung der Schadenssummen. In den nächsten Wochen ist in Deutschland der Referentenentwurf der Kartellschadensersatz-RL zu erwarten, wodurch  die besondere Aktualität des diesjährigen „Forum Kartellrecht“ zu Tage trat, zu dem Prof. Dr. Theresia Theurl vom Institut für Genossenschaftswesen und Prof. Dr. Petra Pohlmann vom Institut für Internationales Wirtschaftsrecht am 21. Januar 2016 an die Westfälische Wilhelms-Universität Münster eingeladen hatten. Mehr als 150 Teilnehmer aus Wissenschaft, Wirtschaft, Rechtskanzleien und Universitäten setzten sich mit den Inhalten der Richtlinie sowie den vermuteten Eckpunkten der Umsetzung sowie deren Konsequenzen auseinander. Die einzelnen Facetten wurden in zwei Vortrags- und Diskussionsrunden analysiert.

Dr. Armin Jungbluth, Leiter des Referats „Wettbewerbs- und Verbraucherpolitik“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, informierte über die anstehende Umsetzung der Schadensersatzrichtlinie, die im Rahmen der 9. GWB-Novelle erfolgen wird. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen standen nicht nur die Konkretisierung des Schadensersatzanspruchs, sondern auch die zugelassenen Instrumente zur Ermittlung des Schadensumfangs. Ein besonderes Augenmerk wird in der Richtlinie auf die „Passing-on-defence“ (eine vollständige oder teilweise Weiterwälzung des durch einen Kartellrechtsverstoß bei der direkten Marktgegenseite verursachten Schadens auf die Teilnehmer der nachgelagerten Marktstufe) gelegt. Die gesamtschuldnerische Haftung nach außen, die einvernehmliche Streitbeilegung sowie die Offenlegung und Akteneinsicht bildeten weitere Schwerpunkte. Dr. Jungbluth hob hervor, dass die EU-Kommission die Arbeiten und Fortschritte am Referentenentwurf sehr genau verfolgen würde.

Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE) der Heinrich-Heine-Universität, konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die ökonomischen Aspekte der Kartellschadensersatzrichtlinie. Er betonte vor allem, dass die Intention der Richtlinie im Kern keine ökonomische sei. Im Mittelpunkt stünden vielmehr die Aspekte Gerechtigkeit und Umverteilung, wenn „jedermann“ einen umfassenden oder sogar vollständigen Schadenersatz erzielen könne. Die Illusion hinter diesem Prinzip demonstrierte Prof. Haucap eindrucksvoll, indem er eine Liste potenziell Geschädigter aufstellte, die meist nicht einmal die Information über ihre Schädigung und den damit verbundenen Nutzenentgang hätten. Kritisch äußerte er sich daher auch zur „Passing-on-defence“, die er aus ökonomischer Sicht für verzichtbar einschätzt. Die in der Richtlinie eigentlich gestärkte private Kartellrechtsdurchsetzung würde durch die Vorgaben nicht einfacher, sondern komplexer, wodurch unproduktive Kosten entstünden. Es sei im Rahmen der Umsetzung wichtig, keine Fehlanreize im System zu schaffen und die Abschreckungsfunktion des Kartellrechts möglichst wenig einzuschränken, resümierte Prof. Haucap seinen Vortrag.

In den Diskussionsstatements von Prof. Dr. Konrad Ost, Vizepräsident des Bundeskartellamtes, und Dr. Markus Wirtz, LL.M., Rechtsanwalt bei GLADE MICHEL WIRTZ, standen die Verbindungslinien zwischen „Public Enforcement“ und „Private Enforcement“ im Mittelpunkt. Einen weiteren Diskussionsschwerpunkt bildete der Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb mit den anderen EU-Staaten, der durch die konkrete Umsetzung der Richtlinie beeinflusst werden könne.

Prof. Dr. Christian Kersting, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht sowie deutsches und internationales Unternehmens-, Wirtschafts- und Kartellrecht der Heinrich Heine-Universität, führte seine Überlegungen zur Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie aus, die er in einem Gesetzgebungsvorschlag umfassend formuliert hat. Dabei betonte er den Effektivitätsgrundsatz und empfahl, die vorhandenen Umsetzungsspielräume – auch im Sinne eines Wettbewerbs der Rechtsordnungen – zu nutzen. Hierbei stand vor allem sein Vorschlag eine Leitlinie für Gerichte bezüglich der Schadensvermutung einzuführen, im Mittelpunkt seiner Ausführungen sowie der kontrovers geführten Diskussion. Laut Prof. Kerstings Vorschlag wäre dann eine Schadenshöhe von mindestens 10% des Wertes der Gegenleistung des Geschädigten anzunehmen

Prof. Dr. Roman Inderst, Inhaber des Lehrstuhls für Finanzen und Ökonomie der Johann Wolfgang Goethe-Universität, leitete zu den Möglichkeiten und Grenzen der Schadensermittlung und -quantifizierung über. Er betonte die inhaltlichen und methodischen Herausforderungen, die mit der konkreten Schadensfeststellung von Kartellen und Marktmachtmissbrauch verbunden sind. Vor diesem Hintergrund forderte er den Verzicht auf eine schematische Vorgehensweise, angemessen sei vielmehr die jeweils zugrundeliegende „ökonomische Story“ aufzudecken, die sich aus der Berücksichtigung der Anreize aller Beteiligten ergeben würde. Während die EU-Kommission von drei möglichen Methoden der Schadensschätzung ausgeht, fokussierte Prof. Inderst sich in seinem Vortrag auf eine statische Betrachtung. Bereits auf dieser Ebene wurde die Komplexität der Schadensschätzung ersichtlich. Prof. Inderst zeigte Möglichkeiten der Feststellung von Streuschäden für Endkonsumenten, für gewerbliche Abnehmer und für „jedermann“ auf. Am Beispiel der Preisschirmeffekte (Unternehmen, die selbst keine Kartellmitglieder sind, sich aber in dessen Windschatten befinden, können höhere Preise durchsetzen als dies ohne Kartell der Fall wäre) verdeutlichte Prof. Inderst die notwendige Berücksichtigung strategischen Verhaltens in der Preissetzung aller Beteiligten und Betroffenen, wenn es um die umfassende Abschätzung von Kartellschäden geht.

In den Diskussionsstatements zeigte Mette Alfter, Consultant Frontier Economics, eine Inkonsistenz der Richtlinie bezüglich der Annahmen zum „Passing-on“ auf. Christopher Rother, Kanzlei Hausfeld, betonte wiederum, dass die Umsetzung der Richtlinie den materiellen und personellen Rahmen der gerichtlichen Instanzen sprengen würde, so dass kaum ein Verfahren zum Kartellschadensersatz in den nächsten Jahren zum Abschluss gebracht werden könne.

Die vielen Facetten dieser hochaktuellen und sowohl aus juristischer als auch aus ökonomischer Perspektive sehr wichtigen Thematik ermöglichten im Rahmen des diesjährigen Forum Kartellrecht einen intensiven interdisziplinären Austausch über die Ausgestaltungsvarianten und die vermuteten Konsequenzen der konkreten Regeln im Zusammenhang mit der Kartellschadensersatzrichtlinie.