|
Dekanat

"Ein Grexit würde den Euro stärken"

Finanzexperte Prof. Johannes Becker über die Griechenland-Krise

Die Mehrheit der Griechen hat sich in einem Referendum gegen die europäische Sparpolitik entschieden. Was bedeutet das für die Eurozone und für die gemeinsame europäische Währung? Im Interview erläutert Prof. Dr. Johannes Becker, Direktor des Instituts für Finanzwissenschaft der WWU, mögliche Perspektiven und Gefahren.

Welche Möglichkeiten hat Griechenland nun, aus der Schuldenkrise zu entkommen?

Nicht mehr viele, fürchte ich. Das Abstimmungsergebnis entzieht einer möglichen Einigung auf der Grundlage der bisherigen Verhandlungen die Legitimation. Wenn die Gläubiger ihr Angebot jetzt nicht wesentlich verbessern – und das werden Sie nicht tun –,  wird es kein weiteres Hilfspaket geben, und Griechenland wäre damit praktisch bankrott. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, also der Grexit ist damit fast unausweichlich.

Haben die Griechen im Referendum tatsächlich für den Grexit votiert?

Nein, das haben sie nicht gewollt. Ihre Regierung hat ihnen eingeredet, dass ein ‚Nein‘ die Sparpolitik beenden würde, ohne dass Griechenland den Euro verlassen muss. Aber ironischerweise hat das Referendum nun zu einer Situation geführt, die viel stärker als die Sparpolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage abwürgt.

Hat sich der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras verschätzt?

Schwer zu sagen. Möglich ist auch, dass er von vornherein der Ansicht war, dass sich Griechenland innerhalb der Eurozone nicht erholen kann – damit wäre er der gleichen Meinung wie viele deutsche Ökonomen. Die Verhandlungen der letzten Monate wären dann nur Theater gewesen, um die Griechen auf diesem Weg hinter sich zu bringen. Das ist ihm gelungen. Der Preis, den die griechische Bevölkerung dafür zahlen muss, ist allerdings entsetzlich hoch.

Was hätten die Gläubiger, was hätten Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble besser machen können?

Die Gläubiger haben frühzeitig den Kampf an der Meinungsfront verloren, nicht nur in Griechenland, sondern auch in den anderen Reformländern. Dass nach dem kreditgetriebenen Boom bis 2008 ein Absturz folgt, war unvermeidlich. Die griechische Öffentlichkeit schreibt diesen Absturz aber der Troika und insbesondere den Deutschen zu. Das ist unfair, aber dieser Aspekt der Krise wurde immer unterschätzt.

Das klingt, als sei die wirtschaftspolitische Entwicklung in Griechenland unvermeidlich gewesen.

Das war sie sicherlich nicht. Die Lasten der Anpassung sind ungleich und ungerecht  verteilt worden. Die griechischen Vorgängerregierungen haben versagt, und die Troika hat nicht entschieden genug gegengesteuert. Auch waren die Haushaltsziele der Gläubiger zu ehrgeizig, aber mit der Alternative für Deutschland (AfD), dem französischen Front National und anderen Protestparteien im Nacken verhandelt es sich auch aus Sicht der Gläubiger-Länder nicht leicht. Trotz alledem: Griechenland hat bis etwa 2010 über seine Verhältnisse gelebt. Eine Anpassung nach unten ist nie leicht, mit und ohne Troika.

Falls Griechenland aus der Eurozone oder gar aus der EU austritt: Verliert der Euro dadurch international gesehen an wirtschaftlicher Stärke?

Nein, im Gegenteil. Die schwelende Griechenlandkrise hat den Euro belastet. Auch wenn dies angesichts der Not der griechischen Bevölkerung etwas herzlos klingt: Ein Grexit würde die Glaubwürdigkeit des Euros stärken.

Wie wird sich die finanzielle Situation Griechenlands auf die Eurozone auswirken? Was sind mögliche wirtschaftliche Folgen für Deutschland?

Die Auswirkungen werden sich in Grenzen halten, denn alle Beteiligten hatten genügend Zeit, um sich auf einen Grexit vorzubereiten. Allerdings wird Deutschland einen Großteil seiner Forderungen gegenüber Griechenland abschreiben müssen. Das sind zwischen 80 und 90 Milliarden Euro, also etwa ein Viertel des Bundeshaushalts. Sehr viel Geld, aber der Verlust lässt sich über mehrere Jahre strecken und trifft uns in einer finanziell sehr robusten Lage. Die schwarze Null wird sich in den nächsten Jahren so aber nicht realisieren lassen.