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Dekanat

„WIR FB4“ - vier Fragen an Prof. Dr. Heike Trautmann

Über die Bedeutung und die Zukunft Künstlicher Intelligenz

Künstliche Intelligenz (KI) ist das Thema des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung initiierten Wissenschaftsjahres 2019. KI – das sind Computersysteme, Maschinen und Roboter, die selbstständig lernen können. Diese intelligenten Systeme spielen schon heute in vielen Bereichen unseres (Wirtschafts-)lebens eine bedeutsame Rolle. Prof. Dr. Heike Trautmann, Inhaberin des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik und Statistik am FB4, widmet sich im Rahmen ihrer Forschungsarbeit u.a. den Themen KI sowie Evolutionären Algorithmen. Letztere bilden eine Klasse von stochastischen, metaheuristischen Optimierungsverfahren, deren Funktionsweise von der Evolution natürlicher Lebewesen inspiriert ist.

Wir haben mit Prof. Trautmann u.a. über die Bedeutung und die Zukunft der KI gesprochen:

Liebe Frau Prof. Trautmann, wie lange beschäftigen Sie sich im Rahmen Ihrer Forschung bereits mit Künstlicher Intelligenz und worin liegt der Fokus Ihrer Forschung in diesem Bereich?

Der Begriff “Künstliche Intelligenz” umfasst ein sehr breites Spektrum an Verfahren, die weit über maschinelles Lernen hinausgehen. Schon seit 2004, dem Beginn meiner Postdoktoranden-Phase, beschäftige ich mich schwerpunktmäßig mit naturinspirierten, evolutionären Optimierungsalgorithmen, die vielfältige Einsatzmöglichkeiten, z.B. im Bereich der industriellen (Prozess-)Optimierung, der Routenplanung sowie auch bei der Erstellung von Entscheidungsunterstützungs-Systemen bieten. Der interdisziplinäre Fokus der Wirtschaftsinformatik hat in den letzten Jahren zu einer Ausdehnung meiner KI-Forschung im Data Science-Kontext geführt. Erfolgreiche Anwendungen von KI-Verfahren beinhalten beispielsweise den Einsatz von Clusterverfahren auf Echtzeit-Datenströmen aus dem Bereich des Kundensupports, um eine ausgefeilte Zielgruppenbeschreibung zu erreichen, die Weiterentwicklung von Chat-Bots im Customer Service oder die Konzipierung und Umsetzung von Recommender-Systemen. Die Institutionalisierung dieser Forschung im ERCIS Omni-Channel Lab powered by Arvato ist ein erfolgreiches Beispiel für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Anwendung im Bereich der KI. Ein hochaktuelles und gesamtgesellschaftlich wichtiges Thema – das aber auch die Herausforderungen des Einsatzes von KI zeigt – ist die Nutzung künstlicher Intelligenz zur strategischen Verbreitung von Desinformation über Online-Medien. Hier werden einerseits Möglichkeiten der Bedrohung und anderseits Verfahren zur Detektion und Identifikation verdeckter Manipulation und Propaganda untersucht.

Ferner arbeiten wir methodisch im Bereich von automatisiertem maschinellem Lernen, insbesondere automatisierter Algorithmenselektion und -konfiguration. So wird für die Lösung eines Anwendungsproblems über ein auf maschinellen Lernverfahren basierendes Modell der am besten geeignete Algorithmus mit optimierten Parametereinstellungen vorgeschlagen, was erhebliche Effizienz- und Qualitätsgewinne nach sich zieht.

Wie schätzen Sie die Potenziale ein, die uns KI in Zukunft bieten kann?

KI ist als zukunftsweisende Schlüsseltechnologie im Bereich der digitalen Innovationen zu sehen, die unser gesellschaftliches Zusammenleben sowie auch die Arbeitswelt grundlegend mitgestalten und verändern wird. Dabei ist es sehr wichtig zu betonen, dass es nicht um die Ersetzung, sondern die bestmögliche Ergänzung menschlicher Intelligenz geht („Human-Centered Artificial Intelligence”), z.B. im Rahmen von automatisierter Entscheidungsunterstützung. Neben größtem Potenzial für zukünftige Innovationen sowie Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit Europas wird es jedoch immer wichtiger werden, ausreichende Transparenz und Erklärbarkeit der Verfahren sicherzustellen und die Vereinbarkeit mit ethischen Grundsätzen zu fokussieren.

In der öffentlichen Diskussion wird bisweilen die Befürchtung geäußert, die Entwicklung der KI gefährde Arbeitsplätze. Teilen Sie diese Befürchtung?

Dies ist schwierig pauschal zu beantworten, sondern ist differenziert zu sehen im Hinblick auf den jeweiligen Sektor des Arbeitsmarktes. KI wird nicht per se zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen, verstärkter Einsatz von KI-Technologien wird vielmehr Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt zur Folge haben. Durch fortschreitende Automatisierung und smarte Technologien können zwar einerseits Arbeitsplätze in einigen Bereichen gefährdet werden. Durch Stärkung der Wirtschaft im Allgemeinen und des Innovationsgehaltes der KI wird allerdings sicherlich eine Vielzahl neuer und auch neuartiger Arbeitsplätze geschaffen werden.

Sie zählen zu den Unterstützerinnen der Initiative „CLAIRE“ (Confederation of Laboratories for Artificial Intelligence Research in Europe). Was hat es damit auf sich?

DirektorInnen des in der Wirtschaftsinformatik verankerten European Research Centers for Information Systems (ERCIS) sowie viele weitere Wissenschaftler des FB4 sind Unterstützer der CLAIRE-Initiative. Diese Initiative zielt darauf ab, ein europaweites Netzwerk von Exzellenzzentren in der KI zu schaffen, die strategisch über ganz Europa verteilt sind. Komplettiert werden diese Zentren durch eine neue, zentrale Einrichtung mit einer hochmodernen, „Google-artigen“, CERN-ähnlichen Infrastruktur – dem CLAIRE Hub. Dieser soll neue und bestehende Talente fördern und einen Schwerpunkt für den Austausch und die Interaktion von Forschern und Anwendern bilden. So wird europäische Exzellenz in der KI sowohl gesichert als auch strategisch ausgebaut und ferner einer Abhängigkeit von KI-Forschung, die auch in anderen Ländern extrem vorangetrieben wird, vermieden. CLAIRE wird in enger Zusammenarbeit mit der Industrie Herausforderungen in verschiedenen Bereichen und für eine Vielzahl von Anwendungen definieren und angehen, darunter Gesundheit, Produktion, Transport, wissenschaftliche Forschung, Finanzdienstleistungen und Unterhaltung.