|
Dekanat

Digitalisierung als Herausforderung und Chance

6. Tag der ökonomischen Bildung NRW in Münster

Am Ende waren es fast einhundert Menschen, die sich am 7. März 2019 zum 6. Tag der ökonomischen Bildung NRW in der WWU eingefunden hatten, Lehrkräfte aller Fächer der ökonomischen Bildung an den verschiedenen Schulformen, Berufsanfänger und Unterrichtsprofis, aber auch einige Studierende und Hochschuldozenten.

Thema der Veranstaltung waren die mit dem Megatrend der „Digitalisierung“ verbundenen tiefgreifenden Veränderungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft, die sämtliche Inhaltsfelder der ökonomischen Bildung tangieren: neue Formen des Einkaufens und Bezahlens, neue Produkte und Dienstleistungen, neue Formen des Produzierens und Arbeitens, neue Formen der Kommunikation und der Mobilität, neue Qualifikationsanforderungen, neue Herausforderungen nicht nur für die politischen und gesellschaftlichen Akteure auf allen Ebenen, sondern auch für Schule und Unterricht. Eingeladen hatten in ihrer Rolle als gemeinsame Veranstalter der Lehrerverein „Verband Ökonomische Bildung an allgemein bildenden Schulen“ (VÖBAS) und das Institut für Ökonomische Bildung (IÖB) Münster; finanziell gefördert wurde die Tagung durch das Zentrum für Lehrerbildung der Universität Münster.

 

Eröffnungsrede der Bundesforschungsministerin: Chancen der Digitalisierung nutzen

Nach der Begrüßung durch den Rektor der WWU, Prof. Dr. Johannes Wessels, setzte Anja Karliczek, Bundesministerin für Bildung und Forschung, in ihrer Eröffnungsrede deutlich politische Akzente: Deutschland könne im verschärften technologischen, ökonomischen und politischen Wettbewerb mit den USA und China nur bestehen, wenn es im engen Verbund mit seinen Partnern in der Europäischen Union „die Chancen der Digitalisierung gezielt nutze“ und durch Investitionen in Forschung und Bildung die Potenziale seiner Unternehmen und Menschen mobilisiere. Neben einer digitalen Bildung, die sich nicht in einem „Unterricht mit digitalen Mitteln“ erschöpfen dürfe, sondern die kritische Reflexion über den verantwortungsvollen Gebrauch dieser „digitalen Mittel“ einschließen müsse, bedürfe es einer dem Verständnis grundlegender wirtschaftlicher Zusammenhänge dienenden ökonomischen Bildung.

Daten seien „der neue Treibstoff der Wirtschaft“ und daher müssten auch Schüler „begreifen, dass Daten nicht nur privat, sondern auch Wirtschaftsgüter und wertvoll“ seien. Ihnen zu solchen Einsichten zu verhelfen sei „inzwischen ein wichtiger Teil von ökonomischer Bildung“. Europa gehe weder den Weg der USA noch der VR China: „Grenzenlose Kontrolle durch den Staat werden wir niemals akzeptieren. Datenmacht in der Hand einiger weniger großer Konzerne wollen wir nicht.“

Mit der Datenschutzgrundverordnung habe „die EU gezeigt, dass sie in diesem Bereich nicht nur mit einer Stimme sprechen, sondern tatsächlich Standards setzen“ könne, die „weltweit Beachtung“ fänden“ und „im Endeffekt sogar einen Wettbewerbsvorteil“ brächten.

Trends beim Maschinenlernen und der Künstlichen Intelligenz

Dr. Alexander Del Toro Barba, der am IÖB Münster über „Wettbewerbsökonomische Herausforderungen im Cloud Computing, Big Data und in der künstlichen Intelligenz“ promoviert hat und heute als Machine Learning Product Specialist bei Google Europe arbeitet, gab in seinem Vortrag anhand zahlreicher Beispiele einen Überblick über aktuelle „Trends in Machine Learning“ und Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Die Anwendungsfelder seien breit gestreut und würden immer komplexer: autonomes Fahren, Windenergievorhersagen, E-Commerce, Unterstützungssysteme beim Einkauf, Optimierung der Lagerhaltung, Problemerkennung in Produktionsprozessen, frühere Erkennung medizinischer Risiken, Unterstützung der Arbeit von Biologen und Umweltschützern. Beim Einsatz von KI und Machine Learning in der Industrie seien deutsche und andere europäische Unternehmen entgegen manchen Unkenrufen keineswegs im Rückstand gegenüber US-amerikanischen Unternehmen, sondern besäßen vielfach sogar komparative Vorteile. Auch die Sorgen vor einem generellen Verlust an Arbeitsplätzen seien übertrieben; zweifellos verändere sich die Arbeits- und Berufswelt, viele Menschen müssten sich umstellen, aber keineswegs gehe der Wirtschaft die Arbeit aus. Die Schulen täten gut daran, konzeptionelles Wissen zu vermitteln und Kombinationen von technischen und künstlerischen, natur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu pflegen, um junge Menschen auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorzubereiten.

 

Podiumsdiskussion: Perspektiven auf die Digitalisierung

In der vom VÖBAS-Vorsitzenden Dr. Karl-Josef Burkard moderierten Podiumsdiskussion wurden Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung nacheinander aus drei für die ökonomische Bildung bedeutsamen Perspektiven beleuchtet, für welche die eingeladenen Expertinnen und Experten repräsentativ standen: die Unternehmens-, die Verbraucher- und die Arbeitsmarktperspektive.

Die Unternehmensperspektive brachte Dr. Vera Demary, Leiterin des Kompetenzfeldes ‚Strukturwandel und Wettbewerb‘ am Institut der deutschen Wirtschaft Köln, ein. Digitalisierung ermögliche Produkt- und Prozessinnovationen und fördere neue Geschäftsmodelle, werde aber oft noch eher in ihren Risiken als in ihren Möglichkeiten wahrgenommen. Auch werde sie nicht selten durch eine unzureichende Netzinfrastruktur und Qualifikationsmängel gehemmt. In der Diskussion wurde von mehreren Seiten betont, dass die vielfach als Innovationsbremse kritisierten europäischen Datenschutzbestimmungen auf den internationalen Märkten keineswegs einen Wettbewerbsnachteil darstellten, sondern sogar als Vorbild wirkten. Auf ein weiteres Hindernis wies Dr. Del Toro Barba hin: Das besonders in Deutschland verbreitete Streben nach absoluter Perfektion verzögere pragmatische Problemlösungen auch dort, wo 80- bis 90-prozentige Resultate akzeptabel wären.

Was ändert sich durch die Digitalisierung für die Verbraucher? Für Petra Maier von der Verbraucherzentrale NRW hat sich aus Konsumentensicht nicht das WAS, sondern das WIE geändert: neue Mobilitätskonzepte, elektronische Steuerungsprozesse im Haushalt, Fortschritte der medizinischen Diagnostik, höhere Transparenz bei Preisvergleichen, veränderte Interaktionsformen in den Netzen. In der schulischen wie in der außerschulischen Verbraucherbildung komme es  mehr denn je darauf an, die Konsequenzen von Entscheidungen zu reflektieren: Welche ökologischen und sozialen Auswirkungen haben Online-Einkauf und Online-Vertrieb? In welche Abhängigkeiten begebe ich mich durch die Preisgabe meiner Daten? Insbesondere Jugendliche müssten dafür sensibilisiert werden, z.B. durch Experimente und Rollenspiele, in denen sie sowohl die Verbraucher- als auch die Unternehmensperspektive einnähmen, um eigenes Verhalten kritisch zu überdenken.

Nach Auffassung von Theo Wübbels von der Agentur für Arbeit Ahlen-Münster lassen sich die Auswirkungen der digitalen Revolution auf die Entwicklung der Arbeitsmärkte nicht einfach hochrechnen. Durch den sektoralen wie intrasektoralen Wandel, der nicht nur durch die Digitalisierung, sondern durch andere Megatrends wie den demografischen Wandel oder die Globalisierung vorangetrieben werde, würden voraussichtlich ebenso viele Arbeitsplätze entstehen wie wegfallen. Nicht das Niveau der Beschäftigung, sondern deren Struktur verändere sich. Digitale Innovationen könnten den zunehmenden Fachkräftemangel ein Stück weit „abfedern“; auch seien längst nicht alle Tätigkeiten durch moderne Technik ersetzbar. Die permanente Änderung von Anforderungsprofilen sei seit jeher ein Kennzeichen strukturellen Wandels und erfordere damals wie heute die Bereitschaft und Fähigkeit, sich offen und kritisch auf das Neue einzulassen und lebenslang zu lernen.