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Dekanat

„Ist ein soziales Europa machbar?“

Prof. Dr. Anke Hassel spricht im Rahmen der Ringvorlesung des Wintersemesters
v.l.n.r.: Prof. Dr. Johannes Becker, Prof. Dr. Anke Hassel, Dekanin Prof. Dr. Theresia Theurl, Prof. Dr. Gernot Sieg

Während die anstehenden Europawahlen ebenso wie der „Brexit“ in den Medien längst zu Dauerthemen geworden sind, wird auch in den Hörsälen des Oeconomicums kontrovers über die „Zukunft Europas“ diskutiert. Hierzu durfte die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät im Rahmen ihrer Ringvorlesung im Januar bereits mehrere namhafte Gäste willkommen heißen. Auf Clemens Fuest und Martin Hellwig folgte am vergangenen Donnerstag mit Anke Hassel die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

 „Ist ein soziales Europa machbar?“ – eine ebenso komplexe wie bedeutende Fragestellung, der sich Anke Hassel auf Einladung der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät am Donnerstag im Rahmen ihres Vortrags widmete. Zum dritten Mal innerhalb von drei Wochen hatte die Fakultät zu einer Abendveranstaltung geladen, um neben Studierenden auch interessierte Besucher aus der Umgebung an die Uni zu locken.

Der Ausgangsfrage, die auch gleichzeitig den Titel des Vortrages bildete sollten gleich zu Beginn des Vortrages zwei weitere folgen: „Ist die Europäische Union ein ‚unsoziales Konstrukt‘ – wie vielfach von Kritikern behauptet?“ Und wenn ja: „Wie lässt sich die Gemeinschaft sozialer gestalten?“ Um sich einer Antwort auf die beiden Fragen anzunähern, widmete sich Hassel zunächst der aktuellen wirtschaftlichen Lage der EU unter Berücksichtigung der Entwicklungen in Folge der Finanzkrise seit 2007. Trotz eines insgesamt positiven Fazits betonte Hassel die gravierenden Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten - vor allem in Bezug auf Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Kaufkraft und Wohlstand. Einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklung der vergangenen 15 Jahre habe die Finanzkrise markiert. Als Folge der Krise sei im Hinblick auf die Arbeitslosenquote eine deutliche Diskrepanz zwischen den Staaten erkennbar. Während sich Deutschland vergleichsweise rasch von den Auswirkungen der Krisenjahre erholt habe, sei der Erholungsprozess in Ländern wie Frankreich und Italien deutlich langsamer vonstattengegangen. Insbesondere in südosteuropäischen Staaten seien darüber hinaus noch immer enorme Einkommensunterschiede festzustellen. Die „Ungleichheit“ habe jedoch in Osteuropa - anders als in Westeuropa - deutlich abgenommen. Demnach befänden sich insbesondere osteuropäische Staaten in einem wirtschaftlichen und sozialen „Aufholprozess“.

Trotz dieses positiven Gesamtfazits seien zwei Entwicklungen zu beobachten, die Kritikern eines „unsozialen Europas“ als Grundlage ihrer Argumentation dienen. Zum einen führe die Migration aus Ost-Europa zu einem „Verdrängungsmechanismus“ in niedrigen Einkommensklassen, der bspw. in Großbritannien zu beobachten sei. Gleichzeitig habe sich die Perspektive der Rechtsprechung bei der Interpretation der Binnenmarktfreiheit in den 2000er Jahren zu Ungunsten der Arbeitnehmerrechte verändert. Auf europäischer Ebene werde wirtschaftliche Dynamik aufgebaut und der Wettbewerb über den Binnenmarkt gefördert. Auf Fragen der sozialen Absicherung werde hingegen im Rahmen der Rechtsprechung wenig Rücksicht genommen.

Als zentrale Herausforderung bezeichnete Hassel die Ausbalancierung des Verhältnisses von Binnenmarktfreiheiten und sozialen Grundrechten. Ein soziales Europa sei dennoch „machbar“ – letztendlich sei Europa sogar weitaus weniger „unsozial“ als von Kritikern behauptet. Als eines der zentralen Handlungsfelder bezeichnete Hassel die Eingrenzung des regulativen Wettbewerbs zwischen den EU-Mitgliedern. Gleichzeitig sei die wirtschaftliche Konvergenz der Mitgliedstaaten zu fördern und das Wettbewerbsrecht zu entschärfen, sodass die europäische Gesetzgebung nicht auf nationales Recht und die nationalen Sicherungssysteme durchschlage.

Für Studierende der WWU ist die Aufzeichnung des Vortrags von Anke Hassel sofort über das Learnweb abrufbar: http://go.wwu.de/4sjln. Am kommenden Donnerstag, den 31. Januar 2019, findet der vierte und letzte Vortrag der Veranstaltungsreihe statt. Als Referentin wird dabei Prof. Dr. Isabel Schnabel zu Gast sein.