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Dekanat

Prof. Dr. Martin Hellwig zu Gast im Oeconomicum

„Europa in der Krise – Währungsunion, Bankenunion, Fiskalunion“

Nachdem die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät mit Prof. Dr. Clemens Fuest zum Jahresbeginn bereits einen namhaften Redner im Oeconomicum begrüßen durfte, wurde die Ringvorlesung des Wintersemesters am Donnerstagabend mit dem Vortrag eines weiteren renommierten Ökonomen fortgesetzt. Prof. Dr. Martin Hellwig war viele Jahre lang Vorsitzender der deutschen Monopolkommission und Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern. In den Jahren 2011-2015 war er (stellvertretender) Vorsitzender des Beratenden Wissenschaftlichen Ausschusses des European Systemic Risk Board, welcher ein Jahr zuvor eingerichtet worden war, um das Finanzsystem der Europäischen Union zu überwachen und Systemrisiken vorzubeugen. Im Rahmen seiner akademischen Tätigkeit war Prof. Hellwig nach seiner Promotion am Massachusetts Institute of Technology (MIT) u.a. an den Universitäten Stanford, Princeton und Harvard aktiv. Am Donnerstagabend referierte er im Zuge eines öffentlichen Vortrags vor rund 250 Gästen und stellte sich anschließend den Fragen der interessierten Besucher.

Nach einer Begrüßung durch den Gastgeber der Veranstaltungsreihe, Prof. Dr. Johannes Becker, gab Prof. Dr. Martin Hellwig zunächst einen Überblick über aktuelle Herausforderungen, denen sich die Mitglieder der europäischen Union fast neun Jahre nach der „Euro-Krise“ noch immer stellen müssten. So seien die Bankensysteme noch immer fragil, die Staatsfinanzen der Mitgliedsstaaten unter Berücksichtigung der Zinsbelastung noch immer überwiegend defizitär und der Populismus befinde sich in Teilen Europas auf dem Vormarsch. Gleichzeitig seien vielfältige Reformbestrebungen innerhalb der EU erkennbar. So stehe die Ausweitung der Integration im Rahmen einer „Fiskalunion“ sowie einer „Bankenunion“ ebenso zur Diskussion wie die Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle auf europäischer Ebene. Diesen Initiativen sei jedoch gemein, dass es derzeit an konkreten Bestrebungen zur Umsetzung mangele. Außerdem blieben zentrale inhaltliche Fragen bislang ungeklärt. Es gebe jedoch innerhalb der EU gemeinschaftliche Interessen, aus denen sich wiederum Aufgaben ableiten ließen, die es gemeinsam zu bewältigen gelte. Neben der Sicherung der Außengrenzen des Schengen-Gebietes nannte Prof. Hellwig in diesem Zusammenhang die gemeinschaftliche Schaffung und Sicherung einer IT-Infrastruktur und eines europäischen Bankensystems. „Bankenprobleme sind zu guten Teilen europäische Probleme, weshalb ich glaube, dass auch der Ausbau der Bankenunion eine Rolle spielen sollte“, so Hellwig. Kritik äußerte er an gemeinschaftlichen Bestrebungen zur gegenseitigen Versicherung und Umverteilung im Falle asymmetrischer Schocks: „Die Mechanismen, die wir hierfür geschaffen haben, haben viel Unmut geschaffen und letztlich viel Unfrieden in der europäischen Union.“

Die Gründe für die seit Jahren latent anhaltende europäische Krise seien indes vielfältig: Unterschiede im Sparverhalten, großzügige Kreditvergabe, fehlende fiskalische Disziplin sowie eine unwirksame Bankenaufsicht. In den Jahren vor 2008 habe die Bankenaufsicht riskanteste Praktiken der Banken toleriert. Jede Empörung gegen ein politisches System, dass diese Praktiken zulasse, sei mithin nachvollziehbar. Die Krise bezeichnete Hellwig auch weiterhin als „schwelend“. So gebe es europaweit auch heute noch ca. 800 Mrd. Euro an „faulen“ Krediten. Auch wenn von einer Währungskrise gesprochen worden sei, so handelte es sich vielmehr um eine Kombination verschiedener Krisen: Einer Staatsschuldenkrise in Griechenland, Portugal und Italien, eine Immobilien- und Bankenkrise in Irland und Spanien sowie latente Bankenkrisen in Deutschland und Frankreich. Nach wie vor gebe es keine funktionsfähigen Bankensanierungs- und Abwicklungsverfahren. Die Profitabilität der Banken sei zudem gering, was bei einem Wiederanstieg der Zinssätze die Solvenz der Banken gefährde.

„Beunruhigend“ nannte Hellwig die Art und Weise, wie die Diskurse im europäischen Raum auseinanderfielen. Die kollektive Wahrnehmung unterscheide sich von Land zu Land. Dieses Phänomen werde beispielsweise bei der Beurteilung der Griechenlandhilfe oder der deutschen Leistungsbilanzüberschüsse deutlich. Ziel müsse es sein, den Zerfall des europäischen Diskurses aufzuhalten.

Studierende der WWU können die Aufzeichnung des Vortrages in voller Länge über das Learnweb abrufen: http://go.wwu.de/2n6rs