Alumni Story: Stefan Kooths

Auswirkungen aktueller Ereignisse auf die deutsche und globale Wirtschaft sind ein Dauerthema in den Medien. Gefragt sind hierzu vor allem die Konjunkturforscher als Generalisten unter den empirisch arbeitenden Ökonomen. Sie sind nicht nur den Triebkräften im Wachstumsprozess auf der Spur, sondern sie müssen immer auch abschätzen und einordnen, wie Makro-Schocks die wirtschaftliche Entwicklung prägen. Zugleich ist ihr Rat für eine angemessene Reaktion durch die Wirtschaftspolitik gefragt. Erstellt werden solche Konjunkturprognosen und die dazugehörigen politischen Handlungsempfehlungen – für Deutschland, den Euroraum und die Weltwirtschaft – u.a. vom Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel).

Direktor dieses Forschungszentrums ist Stefan Kooths. Nach dem Volkswirtschaftsstudium und anschließender Promotion an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster war Stefan Kooths zunächst mehrere Jahre in Forschung und Lehre tätig, u.a. als Geschäftsführer des Muenster Institute for Computational Economics (MICE). 2005 wechselte Stefan Kooths in die angewandte Wirtschaftsforschung und wurde Forschungsleiter in der Konjunkturabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Seit 2010 arbeitet er für das IfW Kiel, 2014 wurde er dort Konjunkturchef. Er ist zudem Professor für Volkswirtschaftslehre an der BSP Business and Law School Berlin/Hamburg.

Im Interview mit Stefan Kooths erfahren wir mehr über die Arbeit im IfW Kiel und die Kunst guter Prognosen.

Lieber Herr Kooths, Sie sind bereits viele Jahre in der angewandten Wirtschaftsforschung tätig. Was hat sich in dieser Zeit mit Blick auf Ihre Arbeit am meisten verändert?

Lassen Sie mich zunächst sagen, was in all den Jahren die Konstante geblieben ist: Belastbare Konjunktur- und Wachstumsanalysen sind immer ein Dreiklang aus gesamtwirtschaftlicher Theorie, empirisch-ökonometrischen Methoden und umfangreichem institutionellem Wissen über den jeweiligen Wirtschaftsraum. Die Suche nach immer neuen Indikatoren, mit der wir der Wirtschaft den Puls fühlen können, bleibt eine Daueraufgabe. Unter dem Stichwort Big Data sind dort in jüngerer Zeit immer wieder neue Ansätze erfolgreich gewesen, etwa wenn wir als Konsumindikator während der Pandemie auf die mit Satellitenbildern erfasste Passantenfrequenz in Innenstädten zurückgegriffen haben oder für den Kiel Trade Indidicator die Positionsdaten aller Containerschiffe auswerten, die auf den Weltmeeren unterwegs sind. Aktuell beschäftigt uns vor allem die Frage, wie die Energieverfügbarkeit unter den Bedingungen politischer Dekarbonisierungsziele die wirtschaftliche Entwicklung beeinflusst – das ist sicherlich inhaltlich und methodisch – neben dem Einfluss von Finanzkrisen – der größte Sprung der vergangenen Jahrzehnte.

In den vergangenen Wochen und Monaten wurde medial viel über die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland diskutiert. Wie verfolgen Sie als Prognostiker diese Diskussion?

Wir sind ja Teil dieser Diskussion, zu der wir mit entsprechenden Wachstumsanalysen beitragen. Im Mittelpunkt stehen dabei Schätzungen zum Produktionspotenzial, also der Wirtschaftsleistung, die bei Normalauslastung der gesamtwirtschaftlichen Kapazitäten erbracht werden kann. Demografie und Dekarbonisierung sind hierbei wichtige Treiber, hinzu kommen tiefer schürfende Produktivitätsanalysen und entsprechende Ländervergleiche. Die mittelfristige Vorausschau gibt der Wirtschaftspolitik frühe Warnsignale mit Blick auf notwendigen strukturellen Handlungsbedarf – etwa in der Frage der Rentenpolitik. Zudem tragen wir dazu bei, Diskussionen zu versachlichen, in dem wir die Folgen des staatlichen Ausgabegebarens auf den öffentlichen Kapitalstock aufzeigen.

Im Rahmen Ihrer Forschung entwickeln Sie auch konkrete Handlungsempfehlungen, bspw. für die Politik. Was ist es für ein Gefühl, wenn die eigene Arbeit in konkrete politische Maßnahmen umgesetzt wird?

Vorab: Wissenschaft kann Politik nicht ersetzen. Wir können mit Blick auf bestimmte Ziele untersuchen, welche Instrumente ratsam sind und welche Nebenwirkungen dabei auftreten. Das Abwägen zwischen verschiedenen Zielen muss aber immer Teil des politischen Prozesses bleiben – dafür gibt es keine wissenschaftliche Disziplin. Politikberatung ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit, die wir sehr nehmen. Hierzu zählt immer auch die Aufklärung der Öffentlichkeit über ökonomische Zusammenhänge. Wenn ich den Eindruck habe, dass unsere Botschaften ankommen und im politischen Prozess mit abgewogen werden, empfinde ich das als Erfolg. Mitunter werden daraus sogar konkrete Gesetzesvorschläge. So haben wir gleich zu Beginn der Corona-Pandemie das Kieler Modell für betriebliche Stabilisierungshilfen entworfen, das es bis in den Bundestag geschafft hatte. Eine parlamentarische Mehrheit hatte es damals nicht gefunden, aber alle Abgeordneten hatten Gelegenheit, ihre eigenen Rettungsvorschläge an diesem Modell zu schärfen.

Hat sich eine von Ihnen und Ihrem Team entwickelte Prognose schon einmal als falsch erwiesen? Wie wirkt sich dies auf die Erstellung zukünftiger Prognosen aus?

Konjunkturforscher sind keine Hellseher. Das bedeutet auch, dass sich eine gute Prognose nicht einfach daran erkennen lässt, ob sie exakt eintritt. Das wäre angesichts der Komplexität des ökonomischen Prozesses sowieso Glücksache. Wichtiger noch: Man kann aus den richtigen Gründen falsch liegen und aus den falschen Gründen richtig. Entscheidend ist, dass in eine Prognose alle relevanten Informationen systematisch richtig einfließen. Danach dreht sich die Welt aber weiter, und es können sich dann unvorhersehbare Dinge ereignen, die den Lauf der Wirtschaft entscheidend verändern. In diesem Falle sollte eine gute Prognose auch nicht mehr eintreten. Jede seriöse Prognose beginnt mit einer Fehlerdiagnose, aus der wir kontinuierlich lernen. Als angewandt arbeitende Ökonomen haben wir regelmäßig ein Rendez-vous mit der Wirklichkeit. Das erdet unsere Arbeit und gibt auch immer wieder Impulse für die theoretische und methodische Forschung.

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