Alumni Story: Dr. Anja Guthoff
Die meisten Absolvierenden der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zieht es nach dem Studium in die freie Wirtschaft. Einige bleiben der Fakultät jedoch als Nachwuchswissenschaftler:innen erhalten und vertiefen ihr gelerntes Wissen im Rahmen einer Promotion. So auch Dr. Anja Guthoff, die nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums am Institut für Kreditwesen/Finance Center Münster promovierte und für ihre Arbeit mit dem Promotionspreis ausgezeichnet wurde. Heute ist sie als Expertin im Kreditrisikocontrolling der DZ BANK AG tätig. Ehrenamtlich war Anja Guthoff im Vorstand der mittlerweile liquidierten DZ BANK Mikrofinanzfonds eG engagiert. Mit diesem Fonds, der einer Mitarbeiterinitiative entstammte, wurden wirtschaftliche Aktivitäten von Kleinstunternehmern – und vor allem Kleinstunternehmerinnen – in ärmeren Ländern Afrikas gefördert. Im Interview sprechen wir mit Frau Dr. Anja Guthoff über ihre Zeit an der Universität Münster, ihre Promotion sowie ihr Engagement für den DZ BANK Mikrofinanzfonds:
Liebe Frau Guthoff, nach dem Studium haben Sie nicht direkt den Weg in die Wirtschaft gesucht, sondern haben zunächst ein eigenes Forschungsprojekt verfolgt, für das Sie mit dem Promotionspreis ausgezeichnet wurden. Was hat Sie an der wissenschaftlichen Forschung am meisten gereizt?
So wie für mich – lange bevor ich mich für ein Studienfach entschieden hatte – feststand, dass ich einen Teil meines Studiums in den USA verbringen wollte, war für mich früh im Studium eine Promotion Teil meines Ausbildungszielbilds – ohne entschieden zu haben, ob mein beruflicher Weg in die akademische Richtung oder die freie Wirtschaft führen würde. Gereizt hat mich an der Forschung vor allem, tief in ein Wissensgebiet eintauchen zu können und einen kleinen eigenen Beitrag zur Aufbereitung und Weiterentwicklung dieses Wissensgebiets zu leisten. Durch die parallele Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kreditwesen habe ich den Luxus genossen, nach Schule und Studium in bezahlter Tätigkeit noch weitere Jahre lernen zu dürfen. Und durch diese Tätigkeit habe ich auch entdeckt, dass mir das Lehren mindestens genauso viel Freude bereitet, wie selbst zu lernen und zu forschen. Meine Dissertation folgte noch dem damals üblichen monographischen Modell – ein umfangreiches gebundenes Werk zu einem Thema, das sich gut im Bücherschrank macht, aber schwerlich Leser findet. Umso dankbarer bin ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Pfingsten, dafür, dass er unsere Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs mittels Konferenzen und Veröffentlichungen von Beiträgen neben der Dissertation intensiv gefördert hat.
Inwiefern konnten Sie Studium und Promotion auf den späteren Karriereeinstieg vorbereiten?
Bei aller Schnelllebigkeit des Fakten- und Institutionenwissens gibt es doch auch in den Wirtschaftswissenschaften ein breites Fundament von Grundwissen und Grundfertigkeiten, das seine Gültigkeit behält und die entscheidende Basis dafür ist, sich neue Fakten zu erschließen, neue Problemstellungen zu strukturieren und Lösungsansätze zu entwickeln. In meinem BWL-Studium an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster ist mir dieses Fundament in großer fachlicher Breite vermittelt worden – von der Buchführung (ohne eine vorherige Banklehre und mit wenig wirtschaftlichen Inhalten in der Schulzeit war mir der Begriff der Abschreibung im ersten Semester eine große, faszinierende Unbekannte) über mathematische und statistische Grundlagen, die Mikro- und Makroökonomie, verhaltensökonomische Erklärungsansätze, das grundlegende Prinzip der Kosten-Nutzen-Abwägung, finanzwirtschaftliche und kapitalmarkttheoretische Grundlagen, Produktionssteuerungs-, Controlling-, Marketing- und Managementprozesse bis hin zu Grundlagen des Programmierens und des Aufbaus von Datenbanken habe ich ein Rüstzeug erworben, von dem ich in meiner heutigen Tätigkeit im Kreditrisikocontrolling der DZ BANK täglich profitiere. Gerade auf das zugrundeliegende „Warum“ wurde in den Lehrveranstaltungen an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ein großer Schwerpunkt gelegt. So hat sich zum Beispiel das für meine Tätigkeit sehr wichtige Bankenaufsichtsrecht gegenüber dem damaligen Stand umfangreich (im wahrsten Sinne des Wortes) verändert, aber die Grundprinzipien der Regulierung sind immer noch dieselben. Nicht zuletzt sind es auch die neudeutsch oft als Soft Skills bezeichneten Fähigkeiten aus Studium und Lehrstuhlzeit, die für meine tägliche Arbeit von großem Nutzen sind: Wissen an andere vermitteln, Themen im Team bearbeiten, Ergebnisse präsentieren, Standpunkte überzeugend vertreten.
Was war Ihre erste berufliche Station nach dem Studium?
Schon während der Promotionszeit kam über eine Kooperation des Lehrstuhls der Kontakt zu einer Managementberatung zustande. Hier konnte ich mein Interesse an Strategieberatung mit der fachlichen Spezialisierung auf Risikomanagementthemen in der Finanzdienstleistungsbranche kombinieren. Zunächst als Beraterin und dann als Projektmanagerin habe ich auf Projekten zu Kreditrisikothemen, insbesondere zur Entwicklung von Ratingverfahren spannende Erfahrungen gesammelt. Neben den unterschiedlichen fachlichen Inhalten der Projekte gehörten dazu gerade auch das Kennenlernen der unterschiedlichen Unternehmenskulturen der verschiedenen Kunden und das inspirierende, internationale Team mit Kollegen aus unterschiedlichsten Fachrichtungen. Aus Studium und Promotion konnte ich hier insbesondere das schnelle Erschließen und Strukturieren von Inhalten und Aufgaben, die Anwendung von Problemlösungstechniken und die Kommunikations- und Präsentationsfertigkeiten in der Praxis erproben.
Bevor der DZ BANK Mikrofinanzfonds 2023 eingestellt wurde, waren Sie ab 2016 Mitglied des Vorstands dieses Fonds. Was war für Sie das Besondere am DZ BANK Mikrofinanzfonds? Welche Herausforderungen hatten Sie mit diesem Projekt?
Der DZ BANK Mikrofinanzfonds wurde 2001 als Mitarbeiterinitiative gegründet mit dem Ziel der finanziellen Unterstützung von Mikrofinanzorganisationen in ärmeren Ländern, insbesondere in Afrika. Aus den Mitteln des Fonds wurden Garantien für Refinanzierungslinien kleiner lokaler Mikrofinanzorganisationen ausgestellt. Aus diesen Mitteln wiederum wurden vor Ort Kleinstkredite von typischerweise 50 bis 100 EUR für den Aufbau eigener wirtschaftlicher Existenzgrundlagen als Kleinstunternehmer bzw. meist Kleinstunternehmerin vergeben. 2016 hatte sich der Mikrofinanzsektor bereits deutlich weiterentwickelt. Damals waren unsere bestehenden Projekte ausgelaufen und wir waren auf der Suche nach neuen Projekten und Kooperationspartnern. Neben immer größer gewordenen Mikrofinanzfonds mit Volumina von einer Milliarde EUR und mehr gab es für unser kleines Fondsvermögen und unseren ehrenamtlichen Ansatz schließlich keine neuen Projekte mehr und so haben wir im Kreis der Mitglieder die Auflösung der Genossenschaft, in der der Fonds betrieben wurde, beschlossen. Die gemeinsame Leitung und abschließende Liquidation einer Genossenschaft haben mich die vielseitigen Aspekte der Unternehmensführung in einem Mikrokosmos erleben lassen. Die Zusammenarbeit in einem sehr engagierten Kollegenkreis war eine große Bereicherung. Und vor allem bleibt ein gutes Gefühl, an einem wenn auch sehr kleinen Beitrag zu verbesserten Lebensbedingungen in weniger privilegierten Ländern dieser Welt mitgewirkt zu haben.