Strukturwandel der Öffentlichkeit und neue Medien

Untertitel: 
Ein Vortrag von Roland Tichy (Vorstandsvorsitzender Ludwig-Erhard-Stiftung e.V., Mitglied im Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung sowie der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung)
Freitag, 18. März 2016
WGZ BANK, Niederlassung Münster
Veranstaltungsbericht: 

„Strukturwandel der Öffentlichkeit und neue Medien“

Im Rahmen der Mitgliederversammlung der Forschungsgesellschaft für Genossenschaftswesen sprach der bekannte Journalist und Kommentator Roland Tichy, der auch Vorstandsvorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung ist, über den „Strukturwandel der Öffentlichkeit und neue Medien“. Er lieferte eine inspirierende Analyse über aktuelle Entwicklungen auf dem Markt der Medien.

Prof. Dr. Theresia Theurl

 

Roland Tichy spannte einen historischen Bogen vom Entstehen der ersten Kommunikationsmittel und arbeitete heraus, wie sich die Kommunikationssysteme im Laufe der Jahrhunderte verändert haben. So wurden vor einigen hundert Jahren Informationen lediglich über Bilder vermittelt, die allerdings nur an die damalige Elite gerichtet waren. Dementsprechend konnten auch nur diese die Inhalte der Bilder lesen und verstehen. Wir dagegen haben in der heutigen Zeit diese Fähigkeit verloren, da unsere Informationen inzwischen nicht mehr über Bilder sondern über die Schrift aus-getauscht werden. Nach Tichy habe sich die Schrift jedoch sehr langsam entwickelt und etabliert, da es zu Beginn nur wenige Bücher gab und damit nur sehr wenige Menschen lesen lernen konn-ten. Somit hat es Jahrhunderte gedauert, bis die Schrift sich verbreitete und sich ihre eigenen For-men und Märkte entwickelt haben. Der 30 jährige Krieg spielte bei diesem Prozess eine wesentli-che Rolle. Es war der erste Propagandakrieg, der mit gedruckten Mitteln stattgefunden habe, wo-hingegen die Kirche noch mit Bildern entgegen zu wirken versuchte.

Spannend gestaltete sich auch die Entwicklung der Zeitungen. Demnach wurden diese schnell zum zentralen Mittel der Kommunikation, wodurch eine Öffentlichkeit der aufgeklärten Bürger ent-standen sei. Ihren Ursprung hatte diese Entwicklung in Großbritannien, wo es eine Auseinander-setzung zwischen dem Fürstenhof und dem sich entwickelnden Bürgertum gab. Diese Auseinan-dersetzung spiegelte sich auch in den damaligen Namen der Zeitungen (bspw. the Guardian, the Observer, the Watchtower) wieder, wodurch ein Protest der Bürger gegen die Obrigkeit ausge-drückt werden sollte. Eine genetische Folge daraus sei – so Tichy –, dass seither die Journalisten immer gegen die Obrigkeit sind bzw. sein sollten. Dementsprechend sei auch unser heutiges Ver-ständnis von Demokratie überhaupt erst möglich geworden, weshalb diese Form der Kommunika-tion einen enormen Stellenwert genieße und als ein ungeheurer Reichtumsmotor gelte. Der Reich-tum heutiger Internetriesen, wie bspw. Google oder Apple sei historisch gesehen keine Neuigkeit, da diese Stellung früher Zeitungsfürsten und Druckmaschinenhersteller eingenommen haben.

Prof. Kempf

 

Außerdem erläuterte Herr Tichy, dass es sich bei Zeitungen strukturell gesehen um Märkte ohne große Konkurrenz handle. Zeitungen waren und sind eine Art natürliche Monopole, da für die Gründung einer Zeitung enorm viel Kapital benötigt wurde und noch immer wird. Auch kam Herr Tichy über die Macht der Journalisten zu sprechen. Er erläuterte, dass diese eine zentrale Figur eingenommen haben und zu Gatekeepern wurden. Unter Gatekeeper sind eine kleine Gruppe von Menschen zu verstehen, die darüber entscheiden können, welche Inhalte in einer Zeitung aufgenommen werden sollen und welche nicht. Daher stellte sich die Kommunikationstheorie und die Gesetzgebung die Frage: Wer ist der Gatekeeper und wie kontrolliert man diesen, sodass er gut ausgebildet ist und nicht manipulativ wirkt? In Deutschland wurde auf diese Frage mit der Etablie-rung des öffentlich rechtlichen Rundfunksystems geantwortet.

Anschließend analysierte der Referent die aktuelle Situation in der Medienlandschaft. Anhand ei-ner Grafik zeigte er, dass die Auflagen der Tageszeitungen stetig sinken, da diese in Konkurrenz mit anderen Medien (Internet und Fernsehen) stünden. Demnach befinden wir uns in einer Zeit, in der es eine Vielzahl von Kanälen gebe und in der die Bedeutung der Schrift wieder abnehme. Ähnlich wie vor einigen hundert Jahren Bilder als Kommunikationssysteme genutzt wurden, spielen nun neben der Schrift auch wieder Bilder und Filme vermehrt eine Rolle. Dabei gab Herr Tichy zu be-denken, dass die Welt der Bilder anders wirke als die Welt der Schrift. So sei die Schrift immer rati-onal, da beim Lesen eines Textes ständig versucht werde, diesen zu hinterfragen. Bilder haben dagegen einen sehr viel suggestiveren Charakter als die Schrift, was eine Veränderung der Öffent-lichkeit zur Folge habe.

Roland Tichy ging auch auf den technischen Fortschritt ein. Dieser führte dazu, dass die Menschen über ein neues Massenmedium – nämlich Smartphones – verfügen, mit dem sie eigene Nachrich-ten kostengünstig produzieren und über ein Netzwerk (bspw. Facebook, Twitter) unkontrolliert auszutauschen können. Diese dezentrale Form der Kommunikation habe zur Folge, dass sich die Macht des einstigen Gatekeepers auflöse, was Herr Tichy mit dem prägnanten Satz beschrieb: „Sie entscheiden nun nicht mehr, welches Schiff durch die Schleuse darf.“ Diese Entwicklung habe zwei Prozesse ausgelöst. Zum einen werde dadurch die Uniformität im Produkt (also die Gleichheit der Zeitungsinhalte) aufgelöst, was dazu führen kann, dass die Menschen keine gemeinsame Basis mehr finden. Zum anderen stünden heute moderne Kontrollinstrumente zur Verfügung, mit de-nen eine Kontrolle von unten nach oben möglich sei. Letzteres verdeutlichte Herr Tichy anhand der Bilder, die den gemeinsamen Protest der Staatsmänner nach dem Attentat auf Charlie Hebdo zei-gen. Diese Bilder seien manipuliert worden, da hier keine Massendemonstration, sondern lediglich eine gestellte Szene, mit ein paar hundert Menschen und abgeschirmt in einer Nebenstraße, zu sehen ist.

Insgesamt macht sich der Strukturwandel der neuen Medien darin bemerkbar, dass es heutzutage ein leichtes ist, sich selbst darzustellen, was allerdings kontrollierbar geworden ist. Außerdem ha-ben die einstigen Gatekeeper ihre Macht verloren und wir leben wieder in einer Welt der Bilder.

Gruppe

 

Zur Person

Roland Tichy ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule, studierte in München und New Orleans Volkswirtschaft, Politik und Kommunikationswissenschaften. Er arbeitete als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Gesundheitsökonomik am Volkswirtschaftlichen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Nach der Regierungsübernahme durch Helmut Kohl wechselte Tichy für zwei Jahre in den Planungsstab des Bundeskanzleramts. Anschließend ging er als Bonner Korrespondent zur Wirtschaftswoche. Nach der Wiedervereinigung war er als Stellvertreter des Rundfunkbeauftragten der Neuen Länder für die Neugestaltung der elektronischen Medienlandschaft in den neuen Bundesländern mitverantwortlich. Roland Tichy arbeitete für namhafte deutsche Wirtschaftsmagazine. Bei der Daimler Benz AG leitete er das Ressort „Corporate Issues Management“, das direkt dem Vorstandsvorsitzenden berichtete. Für das Handelsblatt leitete Tichy das Berliner Büro. Von 2007 bis 2014 war er Chefredakteur der Wirtschaftswoche. Bücher schrieb Roland Tichy zum Thema Einwanderung und Bevölkerungsentwicklung. Im Juli 2014 wurde Tichy zum Vorsitzenden der Ludwig-Erhard-Stiftung gewählt und ist Gründer des Internet-Portals „Tichys Einblick“.