Sind die deutschen Bankenstrukturen reformbedürftig?

Untertitel: 
Ein Vortrag von Prof. Dr. Wernhard Möschel (Universität Tübingen)
Donnerstag, 23. März 2006
Münster
Veranstaltungsbericht: 

Zusammenfassung des Vortrages

"Sind die deutschen Bankenstrukturen reformbedürftig?"

Anlässlich der Mitgliederversammlung der Forschungsgesellschaft für Genossenschaftswesen Münster hielt Prof. Möschel seinen Vortrag „Sind die deutschen Bankenstrukturen reformbedürftig?“. Es erwartete die Anwesenden ein kritischer, doch humorvoller Vortrag über die institutionellen Rahmenbedingungen der deutschen Bankenstrukturen. Dabei zeigte er, welche Maßnahmen seiner Meinung nach geboten seien, um den Wettbewerb im deutschen Bankensektor zu garantieren.

Es herrsche Einsicht darüber, dass das deutsche Säulensystem überkommen und nicht zukunftsfähig sei. Insofern sei der Wettbewerb in Frage gestellt. Auch die privaten Institute würden so „gegen die Wand“ gefahren, allenfalls die Deutsche Bank sehe sich derzeit gegen Übernahmen gefeit. In dieser Einschätzung stimmen Internationaler Währungsfonds, Sachverständigenrat, Monopolkommission und Bundesbank überein: Das deutsche Säulensystem stelle ein Hindernis für die Integration der europäischen Finanzmärkte dar, weshalb ein Rückzug der Öffentlichen Hand aus der Kreditwirtschaft geboten sei.

Prof. Möschel rief auch die Fehlentscheidungen und Fehlentwicklungen der privaten Kreditinstitute, in Erinnerung. Unvergessen sei z.B. das Desaster bei der Deutschen Bank, welche mit der Auslagerung von Massenkunden in eine Retailbank „Deutsche Bank 24“ sicherlich einen strategischen Fehler begangen habe. Doch stellte er die Frage, ob solche Fehlentscheidungen eine Daseinsberechtigung für den öffentlichen Bankensektor darstellen können.

Somit stehe nicht nur das deutsche Drei-Säulensystem als solches zur Diskussion, sondernauch das Regionalprinzip, auf welches sich auch die Genossenschaftsbanken berufen, stehe auf dem Prüfstand. Die kumulierte Bilanzsumme der Sparkassen belege die bedeutende Stellung, welche die öffentliche Hand im Bankensektor in Deutschland einnehme. Hierbei wirke das Regionalprinzip wie ein Gebietskartell, welches jeglichen Wettbewerb ausschließe.

Prof. Möschel berichtete auch von den Veränderungsimpulsen, die es im öffentlichen Sektor gebe. Zu nennen seien hier beispielsweise die Übernahme der Mehrheitsanteile der SaarLB durch die BayernLB, oder die HSH Nordbank, welche durch die Fusion der Hamburgischen Landesbank mit der Landesbank Schleswig-Holstein (LB Kiel) hervorgegangen ist. Auch sei zu beobachten, dass die Landesbanken weitere Versuche unternähmen, eine vertikale Expansion voranzutreiben, was in der öffentlichen Diskussion und bei den Betroffenen kein Entzücken ausgelöst habe. Zu nennen sei auch die BayernLB, welche mit einer Tochtergesellschaft als Direktbank außerhalb von Bayern auftrete, sowie die WestLB, welche ebenfalls Bestrebungen zeige, als Direktbank zu agieren und mit der Weberbank in Düsseldorf schon ein eigenes Institut für die Betreuung von Privatkunden bereithalte.

Insbesondere mit den Änderungen bei Anstaltslast und Gewährträgerhaftung stoße der Gesetzgeber hier auf Grenzen: Prof. Möschel betonte, dass die explizite Staatsgarantie als eine implizite weiter fortlebe. Zwar gäbe es für öffentliche Institute kein AAA-Rating mehr, doch blieben die Ratings gut. Faktische Bevorzugungsmechanismen beständen fort und seien durch wettbewerbsrechtliche Maßnahmen nicht zu kontrollieren. Auch in der Frage der Strukturreformen bleibe Ernüchterung. So wurde bei der Änderung des Sparkassengesetzes im Saarland die Möglichkeit zur Umwandlung in eine AG weggelassen und in Hessen der Verkauf an Private explizit ausgeschlossen. In Mecklenburg-Vorpommern sei durch eine Novellierung des Sparkassengesetzes eine Veräußerung von Assets der Sparkasse Stralsund rechtzeitig verhindert worden. Auch das „Desaster“ Bankgesellschaft Berlin stelle keinen freiwilligen, sondern einen von Brüssel erzwungenen Fortschritt dar.

Der Giroverband der Sparkassen wolle generell eine Privatisierung der Sparkassen verhindern, doch habe sich der Öffentliche Auftrag zu einer Chimäre verflüchtigt. So sei dem Staat der Auftrag der geldpolitischen Bankaufsicht zu übertragen, doch sollte dieser sich nicht unternehmerisch betätigen und als Bankier agieren. Dieses habe der Gesetzgeber bei der Formulierung des Grundrechts auf Gewerbefreiheit nicht im Sinn gehabt, gab Prof. Möschel zu bedenken.

Die Gründe für eine Aufrechterhaltung des öffentlichen Sektors seien längst obsolet: Für eine „Förderung des Sparsinns“ seien doch in erster Linie die Familien und Schulen zuständig, und nicht der Staat. Sollten deshalb Gebietskörperschaften Hausbankfunktionen übernehmen? Dies solle man doch besser dem Wettbewerb überlassen. Auch aus besonderen Staatsaufgaben lasse sich keine Daseinsberechtigung für Sparkassen folgern: Hier kann der Staat besser auf Spezialinstitute zurückgreifen, wie das erfolgreiche Beispiel der Kreditanstalt für Wiederaufbau zeige. Schließlich habe Brüssel die Marktergänzungsfunktionen für immer noch zulässig erklärt. Auch die Frage nach einer Versorgungssicherheit für den Bürger stellt sich nach Meinung von Prof. Möschel nicht: Bei 50.000 Bankstellen, welchen 26.000 Bäckereien und 21.000 Apotheken gegenüberstehen, lasse sich beileibe keine Versorgungslücken erkennen. So reduziere sich die Sicherstellung der Versorgungssicherheit zu einer Reduktion der Entfernungskomponente.

Auch das häufig angeführte Argument, dass der öffentliche Sektor zu angemessenen Preisen für den Kunden beitrage, ließ Prof. Möschel nicht gelten. Es lasse sich nicht dafür heranziehen, dass der Staat als Unternehmer gebraucht würde. Schließlich sei es Aufgabe des Fusionskontrollrechts, Monopolpreise zu verhindern. So könnte vielmehr ein Wettbewerb durch Privatisierung hergestellt und die Funktion, faire Preise zu sichern, durch eben diesen Wettbewerb ersetzt und gesichert werden. Insbesondere der Spezialisierungserfolg der Genossenschaftsbanken gegenüber den Sparkassen zeige doch, dass es auf den öffentlich-rechtlichen Sektor hier nicht ankomme. Drei-Viertel des Marktes seien für Aufkäufe privater Institutegeschlossen. Mit 3,3 Billionen Euro Bilanzsumme sei der öffentliche Sektor die größte Bank der Welt. So folgert Prof. Möschel, dass der Öffentliche Auftrag sich hier außerhalb jeglicher Proportionen befinde.

Die öffentliche Hand verschließe jedoch die Augen vor den Warnzeichen: Die deutsche Bankenwirtschaft stelle sich alles andere als dynamisch dar. In den letzten Jahren kamen auf dem Bankensektor keinerlei Innovationen aus Deutschland, die Eigenkapitalrenditen sei international auf nicht wettbewerbsfähigem Niveau. Würde diese Entwicklung innerhalb eines internationalen Wettbewerbs entstehen, so wäre dies nicht zu kritisieren, jedoch seien die Verhältnisse durch die Gesetzgebung begründet, gab Prof. Möschel zu bedenken. Die Börsenkapitalisierung der Privatbanken sei im internationalen Verhältnis gering: Die Deutsche Bank befände sich derzeit auf Platz 13. Diese Situation sei begründet durch die desaströsen Ertragsaussichten der privaten deutschen Banken. Fusionen wären nur lohnend, wenn der Staat die Gesetzeslage ändern würde. Insofern seien die deutschen Banken derzeit vor Übernahmen durch internationale Konkurrenten geschützt oder für diese nicht interessant genug.

Als Nächstes betrachtete Prof. Möschel die traditionellen Wertschöpfungsketten der deutschen Banken, welche immer weiter aufbrechen. Spezialisierte Unternehmen und Dienstleister übernähmen Teile und Funktionen und machten den traditionellen Banken Konkurrenz. Bei der Versorgung von Unternehmen mit Kapital könne eine Disintermediation beobachtet werden: Neue Finanzierungsformen wie Mezzanine-Kapital würden populär, Kredite werden verbrieft und an Kapitalmärkten platziert. Dabei zeigten sich auch Entwicklungschancen. Aufgrund der demografischen Entwicklung steige die Notwendigkeit, kapitalgedeckt vorzusorgen. Hieraus resultiere ein gewaltiger Anlagebedarf. Vor allem aber nähme die Bedeutung der Informationstechnologie zu. Doch der gegenwärtige institutionelle Rahmen schaffe im deutschen Bankensektor eine „Wagenburgmentalität“, welche Veränderungen verhindere.

Schließlich präsentierte Prof. Möschel Ideen zu gebotenen Maßnahmen. Zunächst einmal forderte er eine Entstaatlichung des Bankensektors. So könnte der Weg für eine formelle Überführung in privatrechtliche Rechtsformen freigemacht werden. Auch die Rechtsform einer GmbH solle in Sonderfällen zulässig sein. Hier seien die Landesgesetzgeber in der Verantwortung: In der föderalen Struktur des Staates bedeute dies, dass das Land voraus schreiten müsse.

Die Landesgesetzgeber sollten die Kommunen aber keinesfalls zur Veräußerung ihrer Sparkassen zwingen, allein die Möglichkeit einer Privatisierung würde nach Meinung Prof. Möschels reichen. Zudem gebe dabei nach Art. 28 des Grundgesetzes verfassungsrechtliche Risiken. Durch Novellierung der Sparkassengesetze sollte hier der Weg frei gemacht und so Anreize für die Kommunen gesetzt werden. Schließlich betonte Prof. Möschel, dass die Anstaltslast für die Sparkassen zur „juristischen Zeitbombe“ werden könne. Die Sparkassen-Marke sei lediglich öffentlich-rechtlichen Instituten vorbehalten. Ein privatisiertes Institut könne also den Namen Sparkasse nicht weiterführen. Folglich sei diese Regelung auf jeden Fall aufzuheben. Da aber die Marke ein wesentliches Asset der Gruppe und somit unverzichtbar sei, wäre ein Zusatz „AG“ oder „GmbH“ völlig geeignet, um eine Irreführung des Kunden auszuschließen.

Der genossenschaftliche Sektor habe sich bisher aus der Reformdiskussion herausgehalten. Gemeinsam sei den Genossenschaftsbanken und den Sparkassen ihre Ausrichtung, ihr wesentlicher ordnungspolitischer Unterschied bestehe jedoch in der privatrechtlichen Verfasstheit der Genossenschaftsbanken. Sie hätten eine gemeinsame historische Wurzel: Beide Zweige seien als Antwort auf ein Versagen des Marktes entstanden. Bei den Sparkassen war es der Fürsorgegedanke, bei den Genossenschaftsbanken die Selbsthilfeidee. Für die damals bestehenden privaten Banken seien Kleingewerbetreibende und nicht vermögende Privatkunden eine „nicht begehrenswerte Klientel“, so wie es einst in einem Geschäftsbericht einer Privatbank gestanden habe. Gemeinsam sei beiden auch der vertikale Aufbau und die Erbringung von spezialisierten Leistungen durch Kooperationen im Verbund. Beide Zweige seien im Ursprung dreistufig. Jedoch ist die Konsolidierung im genossenschaftlichen Finanzverbund wesentlich weiter vorangeschritten. Bei den Sparkassen stößt eine weitere vertikale Integration auf erheblichen Widerstand. Hier wirke sich vor allem aus, dass die Landesbanken als politisches Gestaltungsinstrument missbraucht würden. Sowohl bei den Sparkassen als auch bei den Genossenschaftsbanken sei die Gründungsidee brüchig geworden: Der Förderauftrag der Genossenschaftsbanken relativiere sich angesichts 15 Mio. Mitgliedern bei 30 Mio. Kunden. Doch bestehe der ordnungspolitische Unterschied eben in der privatrechtlichen Verfasstheit.

Prof. Möschel betonte, dass der öffentliche Sektor immer stärker in der Kritik stehe und ihm doch hartnäckig widerstehe. Die Genossenschaften stehen dagegen als privatrechtliche Institutionen außerhalb jeglicher Kritik; deren Rechtform sei sogar im Zuge des EU-Genossenschaftsgesetzes weiterentwickelt worden. Sie stehen im Wettbewerb um Kunden und haben damit den Markttest bereits bestanden. Die Sparkassen hätten dagegen diesen Markttest noch nicht bestanden. Dennoch können sich die Genossenschaftsbanken nach Meinung Prof. Möschels nicht zurücklehnen: Das Regionalprinzip sei hinterfragbar, und eine kartellrechtliche Rechtfertigung könne für dieses nicht gegeben werden.

Prof. Möschel schloss seine Ausführungen mit einem Ausblick: Er sieht den größten Handlungsbedarf im öffentlich-rechtlichen Sektor. Doch äußerte er die Befürchtung, dass hier wenig geschehen wird: Zum einen sei das Thema eine genuine ordnungspolitische Fragestellung, für die ein allgemeines Interesse der breiten Öffentlichkeit nur schwer zu erzeugen sei. Zum anderen würden die zuständigen Landesgesetzgeber die Auseinandersetzung mit den Kommunen scheuen. Hier träfen Reformbestrebungen auf eine breite „Bürgermeisterriege“, deren eigene Interessen nahe am Status Quo lägen. Vermutlich werde der deutsche Sonderweg in der Struktur des Bankenwesens erst dann aufgegeben, wenn es zu spät sei.

Hans-Bernd Wolberg (Mitglied des Vorstands der WGZ Bank)

Prof. Dr. Theresia Theurl