Digitalisierung im Mittelstand: Evolution oder Revolution?

Untertitel: 
Ein Vortrag von Günter Althaus (Präsident des DGRV - Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes, Präsident des Mittelstandsverbundes - ZGV und Vorstandsvorsitzender der ANWR Group eG)
Freitag, 16. März 2018
DZ BANK, Niederlassung Münster
Veranstaltungsbericht: 

Digitalisierung im Mittelstand - Evolution oder Revolution?

Im Rahmen der Mitgliederversammlung der Forschungsgesellschaft für Genossenschaftswesen sprach Günter Althaus über die grundlegenden Veränderungen der Unternehmenslandschaft durch die Digitalisierung und wie mittelständische Unternehmen dem wachsenden Wettbewerbsdruck begegnen können.

In der Frage, ob es sich bei den Auswirkungen der Digitalisierung um eine Revolution oder doch nur um eine Evolution für die Unternehmen in Deutschland handelt, skizzierte Herr Althaus den Faktor der Zeit als entscheidendes Beurteilungskriterium. Am Beispiel der Kommunikationsmärkte verdeutlichte er den interessierten Gästen die verkürzten Produktlebenszyklen anhand der Halbwertszeit von Boten, Briefen, Telegrammen, (mobilen) Telefonen und heutigen Smartphones.

Günter Althaus

 

Das Wachstum der Potenziale digitaler Dienstleistungen und Produkterweiterungen stellte er in Beziehung zu der technologisch verfügbaren Rechenleistung sowie des Kundenverhaltens. Während die Serverkapazitäten in den vergangenen Jahren massiv gestiegen seien, habe sich auch das Kundenverhalten stark verändert. Spürbar sei dies besonders im Handel. Dies zeige sich von der Bedienung durch Mitarbeiter, zu einer Selbstbedienung vor Ort, bis hin zu einem Online-Handel, welcher ohne die Notwendigkeit eines physischen Zusammenkommens Transaktionen ermöglicht.

Darüber hinaus diskutierte Althaus anschaulich die Konsequenzen der gestiegenen Verfügbarkeit von Informationen, welche vielen existierenden, aber auch neuen Unternehmen zahlreiche datenbasierte Geschäftsfelder eröffne. Im Handwerk habe die Ausbildung eines Leistenbauers bis zu zwölf Jahre gedauert, um eine hohe Qualität in der Schuhbranche sicherzustellen. Es handelte sich über Jahrzehnte um ein Berufsbild mit hoher Sicherheit und großer Nachfrage durch die Unternehmen. Eine entsprechende Schuhleiste könne heute jedoch innerhalb von anderthalb Stunden durch einen 3D-Druck mit einer unübertroffenen Präzision hergestellt werden, wobei die Einarbeitung in die notwendige Software kein nennenswertes Hindernis darstelle.

Die Abnahme der Begrenzung von Informationszugängen führe aber auch zu höheren Anforderungen der Kunden in Fragen der Transparenz, Flexibilität und Individualisierbarkeit. Als Konsequenz dieser Entwicklungen rät Günter Althaus von einer Zurückhaltung von Informationen oder einer Zensur ab. Probates Mittel für Staaten, Institutionen und auch Unternehmen sei es, in den Dialog mit dem Umfeld einzutreten und die Herausforderungen des Umganges mit Informationen anzunehmen.

Günter Althaus

 

Aus ökonomischer Perspektive identifizierte Althaus in vielen Branchen erste Schritte hin zu vollkommeneren Märkten, da der systematische Abbau von Informationsasymmetrien zu einer deutlichen Erhöhung der Anpassungsgeschwindigkeiten führe. Dieser verbesserte Marktüberblick der Kunden resultiere in einer Veränderung der Einstellung und des Kaufverhaltens, auf welche die Unternehmen strategisch reagieren müssten. Insbesondere die Abkehr von der Wahrnehmung der stationären Nähe als entscheidendes Wettbewerbskriterium sei von entscheidender Bedeutung um den Schritt aus der Abwehrhaltung heraus zu einer aktiven und optimistischen Gestaltung digitaler Veränderungsprozesse zu bewerkstelligen.

Aus Perspektive des Handels ergibt sich laut Althaus die Aufgabe die bisherigen Alleinstellungsmerkmale einer Vorauswahl im Einkauf, und eines Informationsvorsprunges im Verkauf neu zu definieren. Beide Wettbewerbskriterien gelten in Zeiten der individuellen Informationsbeschaffung durch Algorithmen nicht mehr und können im Status-Quo somit nicht weiterhin als Mechanismen zur Kundenbindung angesehen werden.

Der Aufbau neuer, digitaler Kernkompetenzen könne gemäß den Ausführungen von Althaus nur Erfolg haben, wenn es Unternehmen, insbesondere aus dem Mittelstand, gelinge, eine Kultur der Innovationsfähigkeit zu entwickeln, die ein Scheitern einzelner Projekte nicht stigmatisiert. Hierzu seine eine dynamische Unternehmensstruktur erforderlich, die sowohl digitale Kompetenzen bei der Unternehmensführung voraussetze als auch eine Harmonisierung von Fach- und Entscheidungskompetenzen benötige.

Als zentrale Entscheidungsregeln für mittelständische Unternehmensstrukturen identifizierte Günter Althaus dementsprechend eine absolute Kundenorientierung in allen Entscheidungen, eine Vereinfachung der Beschreibungen und Abläufe der Unternehmensprozesse sowie ein Bewusstsein für den „first mover advantage“ bei digitalen Geschäftsmodellen. Die Digitalisierung sei für viele Branchen ein Katalysator, der bestehende Schwachstellen und unternehmerische Versäumnisse der Vergangenheit und Gegenwart schonungslos offenlege.

Günter Althaus schloss seinen Vortrag mit dem Ausblick, dass die deutliche Notwendigkeit der mittelständischen Wirtschaft, der Digitalisierung durch Innovationen und auch Investitionen zu begegnen einzelne Unternehmen überfordern könne. Hier sind seiner Ansicht nach Genossenschaften eine attraktive Handlungsoption. Die Entwicklung von Innovationen durch den Austausch von Wissen, stellen ein wesentliches Merkmal digitaler Communities und Plattformen dar. Genossenschaften haben diese Aufgabe seit Jahrzehnten analog erfüllt und können dies auch in einer digitalen Zukunft um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Mitglieder langfristig zu sichern.

Zur Person

Günter Althaus ist seit 2009 als Vorsitzender des Vorstandes der ANWR GROUP eG verantwortlich für die Ressorts Strategie und Innovation, Informationstechnologie, Digitale Transformation und Human Resource Management. Zuvor war er in Leitungsfunktion in renommierten Beratungs- und finanzwirtschaftlichen Unternehmen tätig. Er bekleidet aktuell zahlreiche weitere Ämter in genossenschaftlichen Organisationen, Mittelstands- und Handelsverbänden. So ist er u. a. seit November 2017 Präsident des DGRV – Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e. V. sowie seit 2016 Präsident des MITTELSTANDSVERBUNDS – ZGV e.V.