IÖB-Standpunkte

"Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen", schrieb im Januar eine Schülerin aus Köln, und der Tweed verbreitete sich im Netz in Windeseile. Das sagt eine Menge über die ökonomische Bildung in NRW, wo es immer noch kein eigenes Schulfach „Wirtschaft“ gibt.

Ein IÖB-Standpunkt von Prof. Dr. Gerd-Jan Krol, IÖB Münster.

Schulisch vermittelte Kompetenz zum Ausfüllen einer Steuererklärung versus Kompetenz zu mehrsprachiger Gedichtinterpretation als Bildungsziele, das ist so sicherlich eine problematische Fragestellung. Aber immerhin hat die junge Dame Naina die seit Mitte der 60er Jahre ungelöste Frage wieder auf die Agenda gesetzt, wie Jugendliche auf die Herausforderungen der Wirtschaftswelt vorzubereiten sind und, das kam weniger zum Ausdruck, wie sie in einer „offenen Gesellschaft“ an der Gestaltung der Wirtschaftswelt sozial verantwortet teilhaben können. In diesem Zusammenhang veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung in der Ausgabe vom 2. Februar zwei kontroverse Beiträge zu einem eigenständigen Fach Wirtschaft, die im Inhalt leider nicht über die seit vielen Jahren geübten Grabenkämpfe hinausreichen: Von „wirtschaftsnaher Seite“ gefordertem verbessertem „Wirtschaftswissen“ wurde die Gefahr einer unkritischen „Vereinnahmung durch Wirtschaftsinteressen“ gegenübergestellt und von der irreleitenden Feststellung begleitet, Ökonomisches Wissen hätte genug Raum in der Schule, auch weil viele Fächer Themen aus dem Bereich Wirtschaft behandeln. Aber so wie Naturphänomene immer auch in Kunst und Literatur u. a. unter ihren jeweiligen Fragestellungen behandelt wurden, werden wirtschaftliche Inhalte in Fächern wie Geographie, Geschichte oder Politik aus deren Blickwinkeln bearbeitet und diese unterscheiden sich eben grundlegend von einer ökonomischen Perspektive.

Diese befasst sich – Einzelproblem übergreifend - im Kern mit der für ein friedliches Zusammenleben auf allen Ebenen zentralen Frage, wie knappe Mittel (Geld, Zeit, natürliche Ressourcen, aber auch Zuwendung und alles andere, was nicht allen jeweils Betroffenen zur gleichen Zeit und gleichermaßen zugänglich gemacht werden kann) bestmöglich zum Einsatz gebracht werden können. In dieser Perspektive lernen Jugendliche nicht nur, dass alle Geld-, Zeit- und Ressourcenverwendungen Verzichte an anderer Stelle oder anderer zur Folge haben, sie werden so auch systematisch mit Handlungsfolgen konfrontiert und lernen Verantwortung - auch dort, wo sie sich wie in der modernen Gesellschaft dem unmittelbaren Erleben entzieht. Mit andern Worten, sie erwerben in der Bearbeitung ökonomischer Probleme Tüchtigkeit und erfahren in der Prüfung der Verallgemeinerung des kontextspezifisch Gelernten auch etwas über die „Grammatik“ einer freiheitlich verfassten, aber sozial verpflichteten wirtschaftlichen und politischen  Ordnung – eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für die Bereitschaft, an deren Gestaltung mitzuwirken.

So gesehen geht ökonomische Bildung weit über die im Beitrag von D. Senf geforderte „Tüchtigkeit“ hinaus. Es geht darum, die „Wirtschaftspraxis“ in Sach- und Sinnzusammenhänge einzuordnen. Das verlangt Zeit, Lern- und Erprobungszeit, die systematisch unter bestimmter Perspektive genutzt wird und die nicht dadurch zu erlangen ist, dass man andere Unterrichtsfächer mit ökonomischen Inhalten anreichert. Dies läuft Gefahr, unter den Handlungszwängen von Unterricht nur „organisierte Unverantwortlichkeit“ zu bewirken. Und es bedarf dazu qualifizierter Lehrkräfte, deren Engagement für eine ökonomische Bildung im Schulalltag sich nicht permanent gegen (auch verordnete) Widerstände behaupten muss. Dies ist der Weg, um der Gefahr einer Verengung und Vereinnahmung schulischer ökonomische Bildung durch Wirtschaftsinteressen, wie sie der Kollege Hedtke seit vielen Jahren nicht müde wird zu propagieren, wirksam zu entgehen. Bleibt ökonomische Bildung ohne angemessene fachliche Einbettung/ersatzweise Anbindung, kann es in einer nach Fächern geordneten Schule keine Reputation erlangen, bleibt Engagement der Lehrkräfte unbelohnt, gibt es an den Universitäten keine Studiengänge, damit im Kampf um knappe Mittel keine Ressourcen, keinen wissenschaftlichen Nachwuchs, keine fachdidaktische Forschung. Dies ist für die Praxis ökonomischer Bildung bestimmend!

Gott sei Dank nicht ganz: Es gibt sie, die in der Sache engagierten Lehrer, Hochschullehrer mit ihren Mitarbeitern (auch wenn sie in den Medien kein Gehör finden) und Bildungspolitiker (die anders als in NRW, wo die Ökonomische Bildung beispielsweise in Realschulen gerade als Wahlfach an den Rand gedrängt wird, dort aber aufgrund der Wahlkonstellation praktisch vom Absturz bedroht ist), die die Bedeutung der Ökonomischen Bildung erkennen. Ist es Zufall, dass sich diese vor allem in den wirtschaftlich erfolgreicheren Bundesländern finden?

Zur Diskussion um den Tweet lesen Sie das FAZ-Interview mit Prof. Dirk Loerwald, Universität Oldenburg, der 2008 am IÖB Münster promoviert wurde.